Das Navratilova-Schmidt-Paradoxon

Am 06.02.2015 erschien in Telepolis der Beitrag Krebs – Macht und Ohnmacht des Zufalls in dem die Problematik der Ursachenforschung bei Krebs thematisiert wurde.

Es liegt in der Natur des Menschen nach dem Warum zu fragen. Im Fall von Krebs Warum ich? oder im Fall nahestehender Angehöriger Warum gerade er?. Wenn man nach den Ursachen auf einschlägigen medizinischen Webseiten recherchiert, bekommt man bei vielen Krebsarten als erstes zu lesen, dass die Ursachen dafür im Dunkeln liegen, noch nicht ausreichend erforscht seien usw. usw. es gäbe aber eine Reihe von Risikofaktoren wie Rauchen, Alkohol-/Drogenmissbrauch, Übergewicht, falsche Ernährung, zu wenig Bewegung usw. usw. die üblichen Verdächtigen eben.

Nun erkranken aber nicht wenige auf die das alles nicht zutrifft trotzdem an Krebs. Das klassische Beispiel ist die ehemalige, langjährige Spitzensportlerin mit unzähligen Rekorden in ihrer Sportart Tennis, überzeugte Vegetarierin und Verfechter einer gesunden Ernährung Martina Navratilova die 2010 im Alter von ca. 50 Jahren an Brustkrebs erkrankte (aber gottseidank wohl wieder komplett geheilt werden konnte). Dagegen rauchen Leute wie ein Helmut Schmidt noch mit über 90 wie ein Schlot, wo man sich nicht gewundert hätte, wenn er schon 10 mal an Lugenkrebs gestorben wäre. Da liegt die Annahme nahe, dass es eher einem Lotteriespiel als eine Ursache-Wirkung-Beziehung gleicht ob jemand Krebs bekommt oder nicht. Das ist natürlich keine sehr befriedigende, wenn auch durchaus plausible Antwort. Es kommt nicht selten in der Wissenschaft vor, dass man nach einem kausalen Zusammenhang sucht und es findet sich keiner. Das ist eigentlich der Normalfall wissenschaftlicher Forschung, die sich dem evolutiven Prinzip auch nicht entziehen kann und hauptsächlich Fehlschläge produziert um in einigen wenigen Fällen tatsächlich neue Erkenntnisse zu gewinnen.

Wenn also kein kausaler Zusammenhang gefunden wird, heißt das nicht unbedingt, dass es keinen gibt. Auch Fragestellung und Methode können unzulänglich sein. Ein Beweis, dass eine prinzipielle Unmöglichkeit eines kausalen Zusammenhangs bzw. dessen Nachweises besteht, dürfte nur epochalen wissenschaftlichen Erkenntnissen wie der Quantenphysik, dem Gödel’schen Unvollständigkeitssatz und dem 2. Hauptsatz der Thermodynamik beschieden sein. Sprich: in den meisten Fällen gibt es keinen Nachweis von “echtem” Zufall i.S.v. engl. random, sondern nur von unbestimmtem Zufall i.S.v. engl. chance.

Im Fall vom Krebs kann die Erkenntnis es sei “Zufall” auch schlicht daran liegen, dass man nicht genau genug hingeschaut hat, untaugliches Instrumentarium benutzt hat oder auch nur zu dumm ist die Zusammenhänge zu erkennen.

Im Forum zu o.g. Telepolis-Artikel wurde eine interessante Frage gestellt und zwar Erzeugen Traumatas und auswegslose Situationen Krebs? [sic]. Die Antwort die der Fragesteller darauf gibt mag wissenschaftlich unbefriedigend sein, die Frage ist hochinteressant, gibt es doch Studien die statistisch nachweisen oder zumindest nahelegen, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit traumatisierte KZ-Überlebende eine erhöhtes Krebsrisiko hatten und hiervon besonders Kinder unter 5 Jahren betroffen waren.
Nun, da mag ein Kritiker einwenden, dass ein Holocaust-Überlebender einer Vielzahl von Belastungen im KZ ausgesetzt war und dass obwohl alle mehr oder weniger das Gleiche erlebten, nicht alle gleichermaßen an Krebs erkrankten und dass die Menschen die heute an Krebs erkranken kein einem KZ-Aufenthalt vergleichbares Trauma erlebt haben, aber Krebs in unserer Gesellschaft ein Massenphänomen ist, weit über das hinaus was als Risikogruppe gelten kann. Es erkranken Menschen an Krebs, die in gesicherten, wohlsituierten Familienverhältnissen aufwachsen, die liebevolle und fürsogliche Eltern hatten, wo es nicht die Spur eines Missbrauchs oder einer Vernachlässigung gibt, das krasse Gegenteil eines KZ-Aufenthaltes. Und auf der anderen Seite können KZ-Überlebende durchaus ein biblisches Alter erreichen. Das Bild passt einfach noch nicht richtig, vor allem solange es nur ein statistischer Zusammenhang ist und es kein wirklich kausales Erklärungsmodell gibt.

Aufgrund doppelter persönlicher Betroffenheit (die ich an dieser Stelle nicht weiter ausführen möchte) hat mich das Thema nicht losgelassen. Durch mein psychologisches Vorwissen und Zufall (coincidence) bin ich in einem geschlossenen Forum auf Links zu einem Vortrag von Dr Shelley Uram auf youtube gestoßen. Es besteht aus mehreren kurzen Videosequenzen, die leider nicht durchnummeriert sind, aber wohl in dieser logischen Reihenfolge stehen. Leider alle nur englischsprachig, aber gut erklärt und essentiell für das Verständnis:

Different Trauma 10’10”
Different Parts of the Brain 15’33”
Trauma and How the Brain Communicates 2’41”
*** • Chronic Trauma 4’36” -> toxic stress
Explicit and Implicit Memories 5’59”
Sense of Self and the Nature of the Child 3’38”
Emotional Trauma and Brain Development 2’06”
*** • Trauma Triggers 2’10”
Addiction in the Brain 2’05”
The Brain and Family Dysfunction 1’46”
One’s Authentic Nature 1’41”

Die entscheidenden Beiträge habe ich mit *** hervorgehoben.
Und auf einmal ergibt sich ein logisches Bild, wie nach der Entschlüsselung des Maya Codes.
Die Kausalkette verläuft quer durch alle medizinischen Bereiche. Sie beginnt mit einem traumatischen Ereignis was je nachdem wie empfindlich die Person (sitting duck) gerade in der Entwicklung ihres Gehirns ist, schon ein vollkommen nichtiger Grund sein kann. Das Muster der ausgelösten Stressreaktion (fight-flight-freeze reaction (fffr)) des Überlebensprogrammes im unterbewußten Teil des Gehirns brennt sich dort ein. Gezeichnet fürs Leben! Die Person reagiert mangels erfülltem Sicherheitsbedürfnis nun überempfindlich und geht – vollkommen unbewußt – beim kleinsten, objektiv vollkommen harmlosen Anlaß in den Überlebensmodus z.B. das Klingeln eines Telefons. Da wir als soziale Menschen täglich einer Vielzahl solcher Reize ausgesetzt sind, das Überlebensprogramm aber nur für eine kurze Zeit konzipiert ist, eben bis die Gefahr vorbei ist, und nicht für 30 mal am Tag hoch und runter zu fahren, geht das Gehirn in das nächste Überlebensprogramm und fährt die Stressbiochemie auf ein konstantes Level hoch. Nun befindet sich der Körper in einem Dauerstresszustand. Der Mensch kann so dauerhaft überleben und man wird es ihm nicht einmal besonders anmerken, denn der Verstand, der sich den Stress nicht erklären kann, erfindet eine Erklärung. Oder die Umwelt (Eltern, Ärzte, Lehrer, usw.) erfinden eine Erklärung, warum man so ist und was man dagegen tun soll.
Doch der chronische Stress bleibt, denn das Unterbewußte ist dem bewußten Denken nicht zugänglich. Und die biochemischen Substanzen wie z.B. Adrenalin oder Cortisol sind langfristig toxisch. Und so kann, selbst bei psychotherapeutisch behandelten und ihres Traumas bewußten Menschen, nach Jahren und Jahrzehnten Krebs entstehen, einfach aufgrund der chronischen Selbstvergiftung des Körpers.

Ein zusätzliches Problem ist die Tatsache, dass einem alles mögliche an Therapie und Medikamenten verkauft wird, diese aber wie Anti-Depressiva oder Kognitive Verhaltenstherapie nur bei den Symptomen ansetzt, dafür eine lange und zum finanziellen Vorteil des Anbieters lukrative Patient-Therapeut/Arzt/Pharmamafia-Beziehung aufbauen.
Man kann mit Medikamenten keine fehlenden oder falschen neuronalen Verbindungen auf- oder abbauen, so wie man Querschnittslähmung auch nicht heilen kann. Und mit kognitiver, sprich verstandesmäßiger Therapie kommt man nicht an das Unterbewußtsein heran wo die eigentliche Fehlfunktion sitzt. Was wirklich effektiv sein kann, ist noch mal eine ganz eigene Kiste.

Ich hab an dieser Stelle leider kein Happy End anzubieten, außer der Antwort auf die Frage nach dem Warum. Die nötigen Konsequenzen müssen schon sehr, sehr früh ansetzen. Eltern müssen lernen, wie empfindlich ihre Kinder bis zu einem gewissen Alter für Traumata sind und müssen alles tun, was in ihrer Macht steht, dass das Kind das nötige Ur-Vertrauen in die Welt mitbekommt und seine Maslow‘sche Bedürfnispyramide gerade aufbauen kann und nicht sowas daraus wird. Wer dagegen schon ein tiefsitzendes Trauma hat oder schon an Krebs erkrankt ist, für den wird es ganz ganz schwer. Nicht nur, dass ein solches tiefsitzendes, praktisch irreversibles Trauma eine enorme Behinderung in der persönlichen und sozialen Entwicklung eines Menschen ist, ein durch die Selbstvergiftung angerichteter Schaden ist auch kaum noch reparierbar und selbst wenn es gelingen sollte von heute auf morgen, den chronischen Stress abzustellen, durch die Vorschädigungen ist das Krebsrisiko sicher schon erhöht und dann braucht es für den letzten Schritt zum Ausbruch des Krebses wirklich nur noch den Zufall. In der ACE Pyramide wird das Szenario erschreckend dargestellt.

Und warum kriegt jemand wie Helmut Schmidt keinen Krebs? Er scheint vor allem auch psychisch eine Pferdenatur zu sein, für die vor allem in seiner frühen Kindheit alles optimal lief. Davon profitiert er jetzt noch mit über 90. Er hat wahrscheinlich kein Trauma und seine einzige Angst scheint zu sein, dass die EU seine heißgeliebten Mentholzigaretten verbietet. Und wenn man sich ansieht wie viele Raucher weit vor seinem Alter an Lungenkrebs gestorben sind, dann sind die Helmut Schmidts die Ausnahme von der Regel. Um 100 zu werden, braucht man die emotionale Natur von Helmut Schmidt, nicht seine Zigaretten.

(zuerst veröffentlicht auf https://wwwahnsinn.wordpress.com/2015/02/22/das-navratilova-schmidt-paradoxon/)

This entry was posted in Allgemein. Bookmark the permalink.

Hinterlasse eine Antwort