Tödliche Einsamkeit

The lethality of loneliness John Cacioppo at TEDxDesMoines von TEDx Talks

Wissenschaftliche Messungen und ausgeklügelte Berechnungen haben wiederholt gezeigt, dass dem was wir denken was intuitiv, offensichtlich oder “allgemein bekannt” ist, nicht getraut werden kann.
“Gegensätze ziehen sich an” vs. “Gleich und gleich gesellt sich gern”:
Die Wissenschaft des Gehirns und des sozialen Verhaltens ist voll von Beispielen, dass augenscheinliche Wahrheiten sich gegenseitig ausschließen und nicht gleichzeitig stimmen können.
Was offensichtlich erscheint ist manchmal verkehrt.
Es ist offensichtlich, dass wir autonome, voneinander unabhängige Individuen sind.
Kein Wunder, dass wir vergessen, dass wir soziale Art sind. Wir werden geboren und sind abhängig von unseren Eltern und diese müssen uns ernähren und beschützen.
Wir sind unser ganzes Leben lang mit tausend unsichtbaren Kräften aneinander gebunden.
Auch wenn wir erwachsen sind, sind uns andere Tiere weit überlegen. Unser evolutionäre Vorteil besteht in unserem Gehirn und unserer Fähigkeit zu denken, zu planen, zu kommunizieren und zu kooperieren.
Unser Überleben ist abhängig von unseren gemeinschaftlichen Fähigkeiten, nicht von unserer individuellen Macht.

Erwachsen zu werden bedeutet für ein Individuum einer soziale Spezies nicht autonom zu werden, sondern jemand auf den man sich verlassen kann. Ob wir wollen oder nicht: unser Gehirn und unser Körper sind hierfür angepasst.

Das biologische Warnsystem: Hunger veranlasst uns Essen zu suchen, Durst Trinkwasser und Schmerz unsere körperliche Unversehrtheit, doch auch der Schmerz und Aversion von Einsamkeit gehört dazu. Er warnt vor Schaden an unserem sozialen Körper. Der Schmerz von Heimweh, Trauer, unerwiderter Liebe, geschnitten werden – alles Varianten von Einsamkeit.

Die Leute reden nicht über Einsamkeit, weil Einsamkeit stigmatisiert ist: ein Verlierer, ein Schwächling.
Und deswegen verleugnen wir auch eher einsam zu sein. Was genau so viel Sinn macht wie zu verleugnen, dass man Hunger, Durst oder Schmerz hat.
Mit Einsamkeit zu leben bedeutet mit einem großen Krankheits- und Mortalitätsfaktor zu leben. Zum Vergleich: Erhöhung der Mortalität durch:
– Luftverschmutzung 5%
– Übergewicht 20%
– Alkoholismus 30%
Einsamkeit 45%

Einsamkeit ist nicht nur bedauerlich, sondern gefährlich.
Unser Gehirn geht dann in einen Selbsterhaltungsmodus.
Wenn etwas negatives in der Umgebung passiert und je einsamer das Gehirn desto weniger Empathie.
Das meiste was durch soziale Isolation getriggert wird, ist unbewußt.
Wenn man sich isoliert fühlt, spürt man den Drang sich mit anderen Menschen wieder zu verbinden.
Was man nicht spürt, ist, dass das Gehirn in einen hyperempfindlichen Zustand für soziale Bedrohungen gegangen ist. Und wenn man nach Gefahren sieht, sieht man sie auch eher, egal ob sie real sind oder nicht.
Damit werden negative Interaktionen wahrscheinlicher. Und das löst eine biochemische Reaktion aus die gesundheitsschädlich ist.
Einsamkeit verstärkt eine Abwehrhaltung: wenn man auf das eigene Überleben konzentriert ist, versetzt man sich weniger in andere mit denen man interagiert.
Einsamkeit verstärkt depressive Symptome: das hat den Effekt, dass die Wahrscheinlichkeit negativer Interaktionen und Konflikte abnimmt, aber durch die Körpersprache signalisiert man der Umgebung wieder mit einem in Beziehung zu gehen. Das ist ein Hilfeschrei nach Bindung.
Einsamkeit erhöht das morgendliche Cortisol-Level, ein mächtiges Stress-Hormon, Vorbereitung für einen neuen, gefahrvollen Tag.
Und das Ende vom Tag ist nicht das Ende des Alarmzustandes im Körper. Wenn es schon gefährlich ist, sich selbst gegen eine Bestie mit einem Stock zu wehren, um so gefährlicher ist es nachts zum schlafen diesen Stock wegzulegen, wenn die Beutegreifer umherziehen und man nicht in der sicheren Umgebung eines sozialen Umfeldes ist. Einsamkeit erhöht die Durchschlafschwierigkeiten und erniedrigt die Erholung von einem stressreichen Tag.
Einsamkeit ändert auch die Genexpression:

Wenn die Gene das Piano sind, dann ist die Umgebung der Pianist, der bestimmt welche Tasten wie angeschlagen werden.

Ein schönes Bild, das auch die Prioritäten zeigt: ein schlechter Pianist holt aus dem besten Steinway keine annehmbare Melodie heraus. Ein guter Pianist holt aus dem schlechtesten Klavier noch das Maximum heraus. Und erst wenn an allen Flügeln, Klavieren und Keyboards gute Pianisten sitzen, dann hört man den Unterschied zwischen den Instrumenten.

Wenn Einsamkeit gefährlich ist, was können wir dagegen tun?
Wenn wir hungrig sind gehen wir zum Kühlschrank und essen etwas.
Wenn wir durstig sind drehen wir den Wasserhahn einfach auf.
Aber wenn wir einsam sind, haben wir keine Vorratskammer voll mit Freunden mit denen wir in Beziehung treten können.
1. erkenne das Signal und leugne es nicht
2. verstehe wie es dein Gehirn, deinen Körper und dein Verhalten verändert.
3. stelle dich darauf ein und reagiere
Es ist nicht die Menge an Freunden, sondern die Qualität einiger weniger Beziehungen.
Es gibt drei Komponenten von Bindung:
1. der Aufbau einer einzigen intimen Beziehung in gegenseitigem Vertrauen
2. gute Zeiten mit Freunden und Familie verbringen
3. die (ehrenamtliche) Mitarbeit an einem größeren Projekt

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One Response to Tödliche Einsamkeit

  1. admin says:

    vielleicht ist die zunehmende Einsamkeit in der Gesellschaft aber auch nur die Folge einer zunehmenden Traumatisierung, die die Menschen im Überlebensmodus zunehmend depressiver und bindungsvermeidend werden lässt.

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