Verständnis-Erklärungs-Therapie

„Großer Geist, hilf mir, dass ich niemand richte, ehe ich einen halben Mond lang in seinen Mokassins gegangen bin!“ – Siouxindianer

Grundlagen für dieses Therapiemodell ist der Kurzvortrag von Bryan Post “Why Kids Lie and How to End It Now!”, das “Prinzip des guten Grundes” und dass Verständnis, die Voraussetzung für jede friedliche Beziehung zwischen Menschen ist. Es dürfte auch gewisse Parallelen zur “gewaltfreien/empathischen Kommunikation” geben. Verstehen ist hier im Sinne zu verstehen, Worte und Verhalten einer anderen Person in deren Sinn auszulegen, aufzufassen, zu deuten oder bildhaft: mit den Augen des anderen sehen, sich eine Vorstellung von dessen Realität zu machen. Ganz bewußt als aktiver, beziehungsgestaltender Denkprozess, weniger ein reines Mitgefühl oder Empathie. Das Gegenstück ist das Erklären, einerseits sich selbst, aber auch des anderen, der sich erklärt, also die aktive Anregung zum verstehen gibt. Letztlich geht es darum in Beziehung zu bleiben, also positiv zu interagieren.
Zur Abgrenzung: ein Missverständnis ist der – zumindest vorerst – verunglückte Versuch von Verständnis. Missverständnisse bedürfen der Aufklärung, was aber beidseitige Verständnisbereitschaft voraussetzt.
Aus einem Missverständnis wird Unverständnis, wenn man den Eindruck gewinnt der andere will einen gar nicht verstehen bzw. ist überhaupt nicht mehr offen, sieht die ausgestreckte, offene Hand zur Beziehung nicht (mehr).

Die VET ist keine einseitige Therapie wo ein Patient von einem Therapeuten therapiert wird oder sich selbst allein therapiert. Vielmehr wird ein ganzes soziales Netz von Beziehungen, das ganze soziale Umfeld eines Betroffenen therapiert, der Betroffene selbst und alle Personen, die mit ihm in interagierender Beziehung stehen, ob sie wollen oder nicht. Selbst derjenige, der nur negativ reagiert, kann sich dem nicht entziehen, denn sobald er in einer interagierenden Beziehung zu einem steht, muss er sich mit dieser Therapie auseinandersetzen, so der Betroffene sie konsequent anwendet. Wer nur negativ reagiert für den steht dann zwar schnell fest, dass es für ihn nur die Beziehung gibt keine zu haben bzw. ignoriert zu werden. Eine Nicht-Beziehung im weiteren Sinne gibt es nicht. Zu jedem Menschen haben wir eine Art von Beziehung, die nur mehr oder weniger erfüllt ist. Aber auch eine Beziehung des Ignorierens ist ein Therapieerfolg: für den Betroffenen reduzieren sich die negativen sozialen Interaktionen, dem anderen werden seine Grenzen bei dem Betroffenen aufgezeigt. Im Idealfall machen das alle mit einem sozial unverträglichen Zeitgenossen und dann ist er derjenige, der sozial isoliert ist.

Die VET setzt damit natürlich eine gewisse Handlungs- und Wahlfreiheit hinsichtlich der sozialen Interaktionen im Leben eines Betroffenen voraus bzw. muss er sich diese erarbeiten. Speziell im Berufsleben hat man nicht immer die Wahlfreiheit mit wem man interagiert, vor allem wenn bereits gewisse Abhängigkeiten bestehen. Aber eine vollkommene Zwangssituation ist selten und dürfte sich auf gefängnisähnliche Zustände beschränken. Es gilt das Motto: „Handle stets so, dass sich die Zahl deiner Handlungsmöglichkeiten maximiert“. Gewiss muss man im Leben immer Kompromisse eingehen und muss manche Dinge schlucken. Die absolute Freiheit gibt es nicht. Aber es bleibt immer eine Freiheit sich so oder so zu entscheiden und sich dann dafür zu entscheiden, was einem mehr Freiheiten lässt bzw. was besser oder gut für einen ist (vor allem weniger Stress). Auch von gesellschaftlichen Hierarchien sollte man sich nicht zu sehr beeindrucken lassen. Ein tobender Chef, ein unfreundlicher Beamter, die Gesetzmäßigkeiten des emotionalen Handelns gelten auch hier und nicht selten kommt man auch hier mit verstehen weiter als man denkt. Sollten hier die Reaktionen auch negativ bleiben kann Fairness, Gesetzestreue und Höflichkeit – zumindest moralisch – eingefordert werden.

Regeln:

1. Erkenne: Jedem negativen Verhalten liegt eine unbewußte Angst und Stress zugrunde.
Wer negativ reagiert, befindet sich im Überlebensmodus und macht keine Gefangene.
2. Frage dich: Befinde ich mich selbst in einem regulierten oder unregulierten Zustand?
Nicht selten bekommt man selbst Angst und Stress, besonders wenn man dafür durch eine psychische Behinderung prädestiniert ist. In der Situation ist man dann selbst im Überlebensmodus und kaum zu einem reflektierten, differenzierten Verhalten in der Lage.
Wenn in der Situation keine Reflexion möglich war, dann zumindest hinterher sich das klar machen, dass die Emotionen mit einem durchgegangen sind.
3. Versuche dich in einen regulierten Zustand zu bringen.
In der Situation meist auch schwer, vor allem wenn man keine Zeit hat oder meint keine zu haben.
Es kann aber verblüffende Effekte haben, wenn man sich die Zeit einfach nimmt.
4. Ignoriere das negative Verhalten, nicht deinen Partner.
5. Versuche zu verstehen, zuerst dich selbst und dann den anderen.
6. Wenn ich verstehe, muss ich das Ergebnis/Verhalten deswegen nicht gut heißen.

Reaktionen/Formulierungen:

Bei positiven Reaktionen (seltener, aber am einfachsten)
„Vielen Dank für die positive Rückmeldung“

Bei negativen, abwehrenden Reaktionen (häufig, schwieriger, aber noch relativ einfach)
„Ich würde gerne verstehen, welche negativen Emotionen dich zu veranlassen“
„Ich kann verstehen, dass du dich durch bedroht fühlst, dich schützen willst und du dich daher abwehrend verhältst. Das ist jedoch deine Interpretation , die nicht notwendigerweise mit meiner Intension übereinstimmt. Wenn du zu einer anderen Interpretation kommen kannst und sei es konstruktive Fragen oder Kritik, die zur Verbesserung beiträgt, können wir uns weiter austauschen. Ansonsten sehe ich mich missverstanden und kann dein Verhalten daher nicht gutheißen und würde es dabei bewenden lassen.“

Bei indifferenten, gleichgültigen Reaktionen (seltener, am schwierigsten)
„Wie darf ich dein indifferentes/gleichgültiges Verhalten verstehen?“
„Ich kann verstehen, dass dich nicht sonderlich interessiert, weil es dir nicht sonderlich originell/einfallsreich/schön/intelligent/etc. erscheint. Das ist jedoch deine Interpretation , die nicht notwendigerweise den Wert, den es für mich hat, erkennt. Wenn du mehr abgewinnen kannst und sei es durch konstruktive Fragen oder Kritik, die zur Verbesserung beiträgt, können wir weiter in Beziehung bleiben. Ansonsten sehe ich mich nicht wertgeschätzt und kann dein Verhalten daher nicht gutheißen und würde es dabei bewenden lassen“.

Zentrale Kerne:
1. Ziel ist möglichst viele positive Erfahrungen/Interaktionen zu machen und wenig negative.
2. Ziel ist „in Beziehung“ zu bleiben, aber nicht um jeden Preis.
3. Teste deinen Kommunikationspartner auf Verständnisbereitschaft und -fähigkeit.
4. Gib jedem die Chance sich zu erklären.
5. Gib jedem die Chance Missverständnisse aufzuklären.
6. Gib jedem die Chance seine Meinung und sein Verhalten zu ändern.
7. Suche Verständnis-Menschen, meide Unverständnis-Menschen, aber versuche alle zu verstehen.
Wer sich erklären kann, der geht zumindest davon aus, dass der andere es versucht zu verstehen.
Wer sich nicht erklären kann, hat das Problem, dass er sich seines Verhaltens gar nicht bewußt ist und sich darüber keine Gedanken macht und in der Folge auch sein Verhalten nicht reflektiert. Das ist dann auch eine Erklärung, die verstanden werden kann.

Konsequente Anwendung:
Der Erfolg dieser Therapie steht und fällt mit ihrer konsequenten Anwendung. Nicht schadet mehr als Wankelmütigkeit hinsichtlich unverträglicher Zeitgenossen – aus welchen Gründen auch immer. Hier muss eine klare Linie gefahren werden. Wer sich als Interaktionspartner als therapieresistent erwiesen hat, der kommt in das sogenannte „Plonk-File“, eine schwarze Liste der Personen, die nur negativ reagiert haben und die daher zu ignorieren sind. Wichtig hierbei: „Sei weise, plonk leise“. Diese Liste ist nichts für die Öffentlichkeit und auch wer darauf kommt geht niemanden etwas an, auch nicht den der darauf kommt, aber sie muss gewissenhaft geführt werden. Daher werden Einträge „still“ vorgenommen ohne denjenigen zu informieren, dass er auf der schwarzen Liste steht. Man lässt einfach die Fakten sprechen. In der Mehrzahl der Fälle reicht ignorieren aus und man wendet sich einfach positiven Interaktionen mit anderen Menschen zu. Sollte das nicht reichen und es zu Interaktionsversuchen der persona non grata kommen, gilt es diese abzublocken. Je heftiger und hartnäckiger diese ausfallen um so deutlicher wird man. Ausführliche Erklärungen werden nicht abgegeben. Ein deutliches „Nein“ muss genügen. Das kann auch deutlicher ausfallen durch Sätze wie: „Ich möchte keine Kontakt mehr mit dir. Ende. Aus. Das war’s.“ oder „Ich bitte darum von dir nicht weiter belästigt zu werden. Bitte lösche sämtliche Kontaktdaten von mir bei dir“. Deutlich fordernd und ohne Widerspruchsmöglichkeit. Damit sollte im Normalfall der Fall gegessen sein, von Extremfällen wie Stalking etc. abgesehen. Unter Umständen keine leichte Entscheidung, aber letztlich ist das was mir gut tut der Maßstab. Grundsätzlich sollte man jedem Menschen es zugestehen, dass er sich ändert, nur wer einmal im plonk-file ist, der muss schon von sich aus sehr deutliche Signale einer Veränderung zum Positiven senden. Sollten der Eindruck entstehen, dass dies der Fall ist, werden seine Bemühungen natürlich sofort wieder VT-getestet und dann stellt sich schnell heraus wie ernst es ihm damit ist.

In der Anwendung wird man sicher Prioritäten setzen müssen. Nicht mit jedem hat man dauerhafteren, engeren Kontakt, dass sich die Investition in die Beziehung lohnt. So wird man mal mehr, mal weniger Test-Aufwand betreiben um herauszufinden in welcher Beziehung man zu dem anderen steht.

So und nun viel Spaß mit diesem Therapiemodell, denn das sollte auch nicht zu kurz kommen.

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