Kann man denn da gar nichts machen?

Die Aussichten nach der Antwort auf die Frage
der Fragen
sind ja nicht sonderlich rosig. Reaktionen darauf sind
sinngemäß “Kann man denn da gar nichts machen?” oder “Gibt es denn gar
keine Hoffnung?”, bis hin zum Vorwurf des Fatalismus, dass man damit
nur der Resignation Vorschub leiste und die Menschen daran hindere ihr
Schicksal selbst in die Hand zu nehmen.

Nun, die Konsequenzen sind sicher fatal und sogar letal, sprich
tödlich. Aber es ist sicher kein Fatalismus, der dogmatisch, alles
unbesehen als vorbestimmt und unabänderbar (schwarz) sieht. Und auch
den zweifelnden Fragen, ob da nicht doch irgendwo ein Ausweg sei, liegt
der Wunsch nach Selbstbestimmung zugrunde und das doch bitte
uneingeschränkt. Ich meine beides ist von Missverständnissen, über das
was ich erklärt habe, geprägt, die ich hier aufklären will.

Zum einen: es gibt zwei Arten von Gesetzen. Das eine sind menschengemachte und
damit änderbare, juristische Gesetze; das andere sind Naturgesetze an
denen sich nichts ändern lässt, die man nur beschreiben, aber nicht
überlisten kann. Schon ein Klassiker ist der Witz über die Kirchoff’schen
Gesetze und der Hinterbänkler des EU-Parlamentes
. Diesen
Unterschied muss man sich klar machen bei allem was man tut. Wer sich
wie der Schneider von Ulm versucht über die Schwerkraftgesetze hinweg
zu setzen, der landet bald schon wieder auf dem Boden der Tatsachen
oder wie der Schneider in der Donau. Um was für Gesetzmäßigkeiten
handelt es sich aber bei der Hirnforschung? Juristengesetze oder
Naturgesetze? Die Antwort scheint nicht so klar. Haben wir nicht einen
freien Willen? Wir sind doch keine instinktgetriebenen, niederen Tiere?
Ich würde sagen, nirgends liegen Natur- und Juristengesetze so nahe
beieinander wie im menschlichen Gehirn. Denn wir haben einen freien
Willen uns so oder so zu entscheiden (auch wenn wir das meist schon
getan haben, wenn wir denken, dass wir uns gerade entscheiden), aber
wir haben auch einen Rucksack an Naturgesetzlichkeiten von der
Evolution mitbekommen und das worauf es hier ankommt ist weitestgehend
durch diesen Rucksack bestimmt. Wir haben sogar schon einen kulturellen
Rucksack auf dem Buckel von dem wir vollkommen abhängig sind. “Wir
sitzen auf den Schultern von Riesen” hat ein schlauer Kopf mal gesagt.
Unsere Kultur basiert auf kultureller Evolution von Jahrtausenden und
noch viel mehr auf der biologischen Evolution von Zehntausenden und
Millionen von Jahren. Wer im Laufe der Evolution nur einmal falsch
“abgebogen” ist, der ist entweder gleich gestorben oder er hat den
Fehler bedingt kompensieren aber nicht rückgängig machen können. Das
klassische Beispiel ist unser blinder Fleck im Auge. Vor Jahrmillionen
als sich die Zellen, die später das Auge werden sollten, evolutionär
ausdifferenziert haben, wurde bei den Vorfahren der Wirbeltiere die
Ableitung der Sehzellen verkehrt, nämlich auf der Innenseite des Auges
angelegt. Die Nerven mussten also durch die Schicht der Sehzellen
hindurch aus dem Auge heraus in das Gehirn. Das ist bis heute so
geblieben und bis heute haben alle Wirbeltiere mit Augen einen blinden
Fleck im Auge. Das haben wir zwar kompensiert, aber davon ist der
blinde Fleck nicht weggegangen. Zum Vergleich: die Ahnen wirbelloser
Tiere wie die Octopoden haben die Zellen richtig angelegt und
Tintenfische haben deswegen auch keinen blinden Fleck im Auge.

Und so ist auch unser Sozialleben stark evolutionär geprägt, was letztlich
sich in organischen Strukturen manifestiert. Wir sind sozial lebende
Säugetiere. Menschen werden in Gruppen gezeugt, geboren, leben und
sterben in Gruppen. Jeder Schritt im Leben eines Menschen ist
(normalerweise) ein soziales Ereignis. Wir können nur als Gruppe
überleben und nur als Gruppe von Milliarden Menschen können wir so
hochkulturelle Dinge wie Computer und das Internet entwickeln. Aber das hat auch
seinen Preis, nämlich den, dass die Menschen – auch wenn die
kriegerische Geschichte anderes zu lehren scheint – die meiste Zeit
friedlich miteinander auskommen müssen, sprich sie müssen in
unterstützender Beziehung zueinander stehen, sonst können wir nicht
überleben. Und wir stammen nur von diesen sozialen Menschen ab. Und
diese Abstammung spiegelt sich auch in unserem Gehirn wieder: pyhlo-
und ontogenetisch. Unser Gehirn ist wahnsinnig lernfähig und damit sind
wir wahnsinnig anpassungsfähig. Aber wir sind damit auch zum lernen
verdammt und wenn wir es nicht tun oder unser Lernen gehemmt wird, dann
hat das unausweichlich fatale und letale Konsequenzen, nicht nur für
das Individuum, sondern auch für die Gesellschaft. Das ist keine
Schwarzmalerei, dahinter stehen harte Fakten. Und die muss man lernen
zu akzeptieren. Und es ist ja nicht so, dass man gar nichts tun kann,
aber man sollte das tun was wirklich in der eigenen Macht steht und
sich nicht am Unmöglichen die Zähne ausbeißen und seine ohnehin knappe
Lebensenergie verschleudern. Jemand hat es mal treffend so ausgedrückt

Verhaltensstörungen kann man heilen. Persönlichkeitsstörungen nicht. Da kann man nur lernen, damit zu leben, sich denen anzupassen und das Beste daraus zu machen

Im Sinne des Gelassenheitsspruches sollte man daher die Weisheit entwickeln, das was wir ändern können vom dem zu unterscheiden, was wir nicht ändern können. Und wenn wir etwas gefunden haben, was wir nicht ändern können, dann nicht wie der Ochs vorm Berg davor stehen bleiben und resignieren, sondern sich umdrehen und woanders nach etwas
suchen, dass wir ändern und verbessern können. Das ist schwierig, das
ist unbequem, das kratzt an unserem Ego als selbstbestimmte Menschen,
aber leugnen hat keinen Zweck. Es macht keinen Sinn sich vom Kirchturm
zu stürzen in der Hoffnung die Schwerkraftgesetze mögen sich aufheben
und man könne fliegen. Beim Gravitationsgesetz ist es offensichtlich,
bei unserem Gehirn und seinen Naturgesetzen ist es weniger
offensichtlich, aber genauso zwingend, so es eine Naturgesetzlichkeit
ist. Nur wie beim blinden Fleck im Auge: wir sehen nicht, dass wir da
nichts sehen. Unser Gehirn gaukelt uns ein vollständiges Bild vor,
selbst wenn nur ein Auge sieht. Aber mit ein paar Tricks lässt sich der
Nachweis führen. Genau das entspricht dem detektivischen
Erkenntnisprozess bei dem das eigene Gehirn überlistet werden muss um
dessen naturgesetzlichen Zwänge und Sackgassen zu erkennen. Und dazu
ist diese Website da.

Häufig wird mir auch gesagt “Ich kenn da jemanden der einen Arzt kennt, der eine spezielle Therapie entwickelt hat und dadurch denjenigen geheilt hat”. Solchen “Wunderheiler”-Geschichten und “Wunder”-Therapien sollte man skeptisch gegenüber stehen. Einer kritischen Überprüfung halten diese meist nicht Stand. Grundsätzlich sind Therapie und Medikamente nicht immer wirkungslos. Die ganze Bandbreite von keiner Wirkung, reinem Placebo, erwünschter und unerwünschter Wirkung ist alles möglich, aber auch sie können sich nicht über Naturgesetzlichkeiten hinweg setzen und die Wirkung wird nie die einer vollständigen Heilung sein. Es kann helfen, muss aber nicht. Daher ist es wichtig eine Therapie bewerten zu können.
1. Unterscheidung: Problem / Lösung
Dazu ist es aber wichtig zu verstehen was ist das eigentliche Problem und was sind schon Lösungsansätze bzw. Kompensations- und Anpassungsstrategien. Das was als “Krankheit” häufig behandelt wird (Süchte, Persönlichkeitsstörungen, Depressionen) sind gar nicht das eigentliche Problem, sondern schon Bewältigungsstrategien, selbst wenn diese mitunter mittel- oder langfristig selbstschädigend sind oder sozial nicht akzeptiert bzw. andere schädigend. Eine hilfreiche Therapie muss dem Rechnung tragen.
2. Grenzen erkennen
Des weiteren muss eine hilfreiche Therapie ihre Grenzen kennen und benennen. Heilsversprechen sind nicht hilfreich. Eine Heilungsgarantie stellt sowieso niemand aus. Dafür aber immer eine fette Rechnung.
Realistisch ist eine Verbesserung der Kompensationsstrategien hin zu weniger selbstschädigend und sozial kompatibler, wobei eine gute Therapie nicht nur den Betroffenen als Individuum sieht und behandelt, sondern den Betroffenen und dessen soziales Umfeld als Beziehungskomplex therapiert.
3. Individualtherapien sind nicht hilfreich
Individualtherapien, die nur den Betroffenen als behandlungsbedürftig sehen, haben eine untaugliche Vorstellung von der sozialen Bedeutung des Problems. Sofern das soziale Umfeld nicht selbst auch mit ähnlichen Problemen zu kämpfen hat, kann psychisch normalen Menschen sogar mehr an Veränderung und Rücksichtnahme abverlangt werden, als psychisch Behinderten. Das ist sowohl für Therapeut als auch das soziale Umfeld natürlich weitaus weniger bequem als nur den Betroffenen als einzig behandlungsbedürftig abzustempeln und damit die eigene Untätigkeit zu rechtfertigen.
4. Was wirkt ist nicht neu, was neu ist wirkt nicht
Ganz besonders skeptisch sollte man bei “neuen”, ganz anderen Methoden und Erfindungen sein. Häufig wird etwas was bereits bewährt ist, etwas Hokuspokus hinzu gefügt und als etwas “ganz Neues” und “definitiv” Wirksames verkauft. Es wird nur leider übersehen, dass das was wirkt nicht neu ist und das was neu ist nicht wirkt.
Und die Vielzahl an verschiedenen Therapien ist eigentlich auch nur ein Zeichen, der Hilflosigkeit der Medizin, ganz gleich ob Schul- oder Alternativmedizin. Es gilt die Medizinerweisheit:

Die Anzahl der Therapien gegen eine Krankheit ist umgekehrt proportional zu deren Wirksamkeit und dem Wissen über diese Krankheit

Nach dem bereits gesagten gibt es nicht viele Möglichkeiten der Behandlung. Die wichtigen Bedürfnisse der Menschen unterscheiden sich im Grunde nicht viel. Psychisch Behinderte wollen im Rahmen ihrer Behinderung “normal” behandelt werden, also nicht als Aussätzige oder Außenseiter, aber eben mit mehr Verständnis und Rücksicht. Wunder-Therapien gibt es also nicht. Das Geld kann man sich sparen.
5. Beziehungsverarmte Therapien
Bei institutionalisierter Therapie (“professioneller” Therapeut, Kliniken, Institute) sollte man auch immer bedenken, dass hier auf einen Behandler eine Vielzahl von Betroffenen kommt. Es findet also eine Art Massenabfertigung statt mit allen Konsequenzen: Wartelisten, anonyme Kontakte, Therapie ist nur 1 1/2 Stunden die Woche oder nur eine “Kur” für ein paar Wochen, der Therapeut wird bezahlt, dass er sich mit einem abgibt. Auch wenn sich im Einzelfall persönlich näherer Kontakt und Beziehung entwickeln, so ist es keinem professionellen Therapeuten möglich mit allen seinen Patienten wirklich intensiven sozialen Kontakt oder gar eine unterstützende Beziehung zu pflegen. Nur das ist genau das was man eigentlich braucht. Professionelle Therapie ist daher schon in sich ein Widerspruch. Da sind Selbsthilfegruppen schon näher dran, aber auch hier beschränkt sich der soziale Kontakt in der Regel auf 1 1/2 Stunden die Woche und sofern man nicht auch den Rest der Woche enge Kontakte zu Gruppenmitgliedern pflegt, muss das auch als beziehungsverarmt gelten. Zum Vergleich: in einer urtümlichen Jäger-und-Sammler-Gesellschaft kommen auf ein Kind mehrere Erwachsene mit denen es tagtäglich sozial interagiert. In modernen westlichen Gesellschaften gilt es schon als Fortschritt wenn eine Erzieherin in der Kita auf “nur” vier Kinder kommt. Man kann es drehen und wenden wie man will: an zumindest einer unterstützenden Beziehung führt kein Weg vorbei und institutionelle Therapie ist das Gegenteil, ja, mitunter wird sogar der Aufbau von unterstützenden Beziehungen unter den Patienten aktiv unterbunden.

Zusammenfassend lässt sich sagen: es geht immer was, aber nicht in dem Außmaß, dass das gesamte Problem verschwindet. Am Leben mit dem Problem und seinen Konsequenzen führt kein Weg vorbei. Verbesserungen sind nur bei den Kompensationsstrategien und Resilienzfaktoren möglich und auch hier muss auf dem aufgebaut werden, was schon vorhanden ist. Es gilt herauszufinden, was einem gut und was nicht gut tut und dann das erstere tun und das zweite zu lassen. Wir können die Vergangenheit nicht ungeschehen machen, aber wir können aus ihr lernen und dann ist es vielleicht auch möglich schon zu Lebzeiten einen Frieden mit der eigenen Seele zu schließen.

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