“Ich bin meinen Emotionen gegenüber machtlos”

heißt ein bei Emotions Anonymous weit verbreiteter Spruch. Wenn man diese Website studiert hat und verstanden hat wie Emotionen funktionieren, dann versteht man auch diesen Spruch: Emotionen – egal ob gut oder schlecht – fragen nicht beim Bewußtsein nach und sind von diesem auch nicht beeinflußbar, sondern das limbische System hat schon längst entschieden ob etwas als eine Bedrohung wahrzunehmen ist oder ob es einem gut tut. Und vor allem das Angstsystem funktioniert mit hundertprozentiger Zuverlässigkeit, denn einmal kein Alarm ausgelöst wo es nötig gewesen wäre und dann war es das. Die Grenze zum Tod ist eine sehr dünne Grenze und unser Angstsystem bewahrt uns davon diese zu überschreiten. Die feste Verbindung zwischen einem Reiz und einer Angstreaktion ist ein Trigger. Was einmal als Trigger abgespeichert wurde, das muss und wird mit hundertprozentiger Zuverlässigkeit wieder abgerufen – ein Leben lang, auch wenn es eine vollkommen unbegründete Angst ist und wir es rational längst besser wissen.

Aber nicht wenigen ist dies nicht bewußt bzw. wollen sich nicht damit abfinden und meinen sich Ängste abtrainieren zu können. Die Auswahl an Verfahren und Therapien ist unendlich. Doch auch hier bewahrheitet sich die Medizinerweisheit “Die Anzahl der Therapien gegen eine Krankheit ist umgekehrt proportional zu deren Wirksamkeit und dem Wissen darüber”. Alle Verfahren und Therapien sich eine Angst zu “löschen” müssen unwirksam sein, denn eine Angst zu löschen widerspricht dem Prinzip von Angst. Schwierig wird es wenn man dann frühkindlich traumatisiert ist und Angst zum dominierenden Prinzip im Gehirn wird. Gerade dann ist der Wunsch sich von dieser dominierenden Angst zu befreien und “normal” sein zu können besonders groß. Die Verzweiflung, wenn die (langfristigen) Erfolge ausbleiben, ebenso. Das führt mitunter zu einem gnadenlosen Selbstbetrug. Nicht selten werden gerne Beispiele angegeben wo es angeblich “funktioniert” habe, eine Angst zu löschen. Leider hat noch niemand den direkten Nachweis erbracht, dass der zugehörige Trigger im Gehirn mit den verbundenen Erfahrungen wirklich gelöscht wurde. Das ist auch schwer vorstellbar, denn unsere Ängste sind auch Teil unserer Persönlichkeit, unser Gehirn ist ein historisches Erfahrungsorgan und ein wirkliches Löschen würde das Löschen unserer Persönlichkeit und unserer gemachten Erfahrung bedeuten. Angebliche Erfolge sind praktisch immer indirekte “Beweise”, die die Löschung einer Angst nur vortäuschen, aber de facto eine Trigger-Vermeidung oder ein anderer Umgang mit der Angst darstellen und in der Folge das Leben leichter und unproblematischer zu sein scheint. Es ist aber ein gefährlicher Glaube die Angst damit besiegt zu haben. Denn ein Trigger, der nicht wirklich gelöscht ist, ruht nur und kann jederzeit wieder aktiviert werden und die emotionale Reaktion mit allen Konsequenzen ist dann nicht aufzuhalten, meist heftiger als zuvor. Zugegeben: Verfahren und Therapien versuchen geschickt mit viel Aktionismus, Aufwand und Brimborium diesen Umstand zu verschleiern und einen dann als “geheilt” und als reparierte Maschine, die wieder gesellschaftliche funktioniert, zu entlassen. Nur wie es danach dem so “geheilten” Mensch ergeht und vor allem wie es ihm in 10, 20, 30 Jahren ergeht, danach fragt niemand. Der “Erfolg” wird abgehakt und fertig.

Aber das in Millionen von Jahren evolutiv diametral optimierte limbische System lässt sich nicht von ein paar Jahren Psychologie des menschlichen Bewußtseins, das selbst viel viel jünger ist, verarschen. Speziell der Versuch die Angstreaktion bewußt zu unterdrücken oder sich daran zu gewöhnen ist ein Spiel mit dem Feuer. Eine bewußte, “künstliche” Regulation der Angst ändert nichts an dem Trigger an sich, sondern ist bestenfalls eine Art Schadensbegrenzung. Wenn man aber meint sich damit dauerhaft weiter Triggern aussetzten zu können, dann hat das nicht nur eine enorme psychische Belastung mit verminderter Lebensqualität zur Folge, sondern auch physische Konsequenzen bis hin zum vorzeitigen Tod.

Ein Eingeständnis wie “Ich bin meinen Emotionen gegenüber machtlos” kann da ein erster Schritt sein. Es braucht aber auch die Selbst-Erkenntnis warum und wie weit man machtlos ist. Denn man könnte ja sonst auch in einen Fatalismus verfallen, nach dem Motto “Hat eh alles keinen Sinn”. Zu wissen was geht und was nicht und warum ist der entscheidende Knackpunkt und hierfür ist ein funktionelles Verständnis des Gehirns und seiner Entwicklung – sowohl pyhlo- als auch ontogenetisch – unablässlich. Insbesondere Menschen die die reproduktive Phase ihres Lebens noch vor sich haben, sollten hier Bescheid wissen, dass sie verantwortungsvolle Eltern werden können. Und das eigentlich je früher je besser, sprich dann wenn ins Gehirn noch was rein geht. Das wäre ein positiver Nutzen einer ansonsten zwanghaften Schulpflicht.

Wie sieht es aber nun aus mit dem “was geht?” und “was geht nicht?”. Die Grunderkenntnis, dass ein Trigger nicht löschbar, abtrainierbar oder verlernbar ist, vorausgesetzt und dass man dort nicht wirklich heran kommt, so sehr man auch trickst, kann eine nachhaltige Therapie nur “drumherum” Erfolge zeigen, ohne den Anspruch einer Heilung. Das ist der Schritt von der Bezeichnung des Problems als einer heilungsbedürftigen Krankheit hin zu einer Behinderung, die als Einschränkung und verminderte Belastbarkeit auf die man Rücksicht nimmt auch sozial akzeptiert wird. Das Hauptziel muss die Vermeidung von Triggern sein, denn jede Stressvermeidung reduziert die toxische Belastung. Dummerweise schließen sich manche Trigger gegenseitig aus z.B. wenn andere Menschen meine Angst triggern und ich diese daraufhin meide, löse ich einen anderen Trigger aus und zwar den der Einsamkeit, der ebenso Stress – wenn auch auf andere Art, aber nicht minder gesundheitsgefährdend – verursacht. Wir sind zum einen hochsoziale Säugetiere, die zum Überleben auf Artgenossen unbedingt angewiesen sind. Zum anderen stellen Artgenossen für uns auch die größten Bedrohungen dar. Wer da als frühkindlich Traumatisierter ein Problem mit der emotionalen Regulation hat, der droht unweigerlich dazwischen aufgerieben zu werden. In dieser quasi Notsitutation kann die zeitweise(!) Überwindung einer Angst sinnvoll sein, wenn sich dadurch die Chance ergibt die Gesamtsituation zu verbessern. z.B. kann es sinnvoll sein eine Kontaktangst zu überwinden um einen Partner für eine unterstützende Beziehung zu gewinnen. Eine einzige unterstützenden Beziehung kann das Einsamkeit-Stress-Problem signifikant vermindern, sofern es eine wirkliche solche ist und nicht der Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben wird.

Grundsätzlich ist es bei der Überwindung von Angst erlaubt alle Tricks zu einer wenn auch schlechten Regulation der Angst einzusetzen: Atemübungen, Meditation, Medikamente & Drogen, Sport, Selbstwirksamkeit, Rituale, Kontrolle usw.. Allerdings sollte einem bewußt sein, dass dies nur eine Notmaßnahme sein kann und nicht zum Dauerzustand werden darf, denn Priorität muss die Stressvermeidung haben, da die “künstliche”, bewußte Regulation wesentlich schlechter funktioniert als eine natürliche, frühkindlich erlernte Autoregulation. Bei Medikamenten und Drogen drohen zudem suchtbedingte Folgeerscheinungen, was auch für Verhaltensweisen wie Sport, Arbeit, Einkaufen, Essen etc. zutrifft.

Ja, wir sind unseren Emotionen gegenüber machtlos, soweit es den Trigger an sich betrifft bzw. was das limbische System mit uns macht. Aber wir können erkennen wie letzteres funktioniert, was uns triggert und welche Umstände es benötigt. Wir können versuchen zu lernen wie wir Trigger vermeiden. Wir können Notfallmaßnahmen bei Angst und Stress einsetzen, wenn dieser sich nicht vermeiden liess oder wenn wir gezielt ein Angst überwinden um uns aus einer Zwickmühle zu befreien und an Lebensqualität zu gewinnen. In diesem Sinn sind wir nicht machtlos gegenüber unseren Emotionen. Alles was wir drumherum gestalten können, unsere Entscheidungen, die wir täglich bewußt treffen, erlauben uns unsere Emotionen indirekt und zum Guten zu beeinflussen. Ironischerweise dadurch, dass wir sie ernst nehmen, nicht ignorieren oder als lästig, löschbar, abtrainierbar abtun und darauf hören, was sie uns sagen.

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