Manfred Spitzer – quick&dirty

Manfred Spitzer habe ich ja schon mehrfach erwähnt, empfohlen, verlinkt und beziehe mich immer wieder auf ihn. Es gibt mittlerweile aber so viel Stoff von ihm online, dass man leicht den Überblick verliert und allein seine Sendereihe “Geist und Gehirn” geht insgesamt über Dutzende Stunden obwohl jede Folge nur 15 Minuten dauert. Es macht daher vielleicht Sinn das etwas zu sichten, ordnen und die – für dieses Blog und nach meiner Meinung – wichtigsten Stücke herauszustellen, ohne dass man exzessiven Zeitaufwand betrieben muss oder orientierungslos durch sein Werk stolpert, aber trotzdem einen Überblick bekommt und die wesentlichen Erkenntnisse der Hirnforschung, speziell was für das Verständnis des für Trauma relevanten Bereichs angeht. Selbstverständlich will ich niemanden daran hindern sich sein Gesamtwerk in epischer Breite zu Gemüte zu führen. Es lohnt sich auf jeden Fall, in aber eben nicht jedermanns Fall.

Die Sendereihe “Geist und Gehirn”

An der Sendereihe “Geist und Gehirn” kommt man sicher nicht vorbei. In epischer Breite geht es dort durch die gesamte Hirnforschung, die zumindest für den Laien schlaglichtartig und zusammenfassend in 15-Minuten Häppchen auf wissenschaftlichem Niveau präsentiert wird.
Man sollte sich zuerst mit dem Episodenguide eine Überblick verschaffen. Da fast alle Folgen kürzlich im Nachtprogramm von ARD-alpha (vormals br-alpha) wiederholt wurden, sind diese für die nächste Zeit online auf den Seiten des BR und der ARD abrufbar und mittels eines geeigneten Programms z.B. youtube-dl sogar offline speicherbar (wenigstens etwas mit Nutzwert für den Zwangsrundfunkbeitrag). Wer etwas Geduld hat oder ein Script programmieren kann, kann sich so eine fast komplette Sammlung von “Geist und Gehirn” zulegen. Wer nach Abzug des Zwangsrundfunkbeitrages noch genug Geld hat und die Sendereihe lieber auf DVD möchte und gerne noch mal dafür bezahlt, kann sich auch die DVDs kaufen. Mitunter auf ebay gebraucht günstig für um die 5 EUR pro Stück erhältlich.

In medias res: welche Folgen sind empfehlenswert?
Ich habe nicht alle Sendungen komplett im Kopf aber so quick&dirty aus dem Handgelenk:

Gedächtnisspuren
Tun Gefühle weh?
Stress
Depression
Kindheitstrauma
Missbrauch und Depression
Frontalhirn an Mandelkern
Gehirnentwicklung
Entwicklung und Lernen
Mutter-Kind-Beziehung
Emotionen:GUT und SCHLECHT
Entscheiden mit Mandelkern
Unbewusste Kindheit
Familie, Gemeinschaft und Gesellschaft

Wichtig sind dabei mMn folgende Erkenntnisse:

  • zum einen die Hirnentwicklung sowohl onto- als auch phylogenetisch mit der Myelinisierung der Nerven im Gehirn und dem aufeinanderaufbauenden Dazu-Schalten neuer Integrationsebenen.
  • das Gehirn als historisches Organ
  • das Gehirn als Ergebnis eines Optimierungsprozesses
  • die qualitative Veränderung des Lernens im Lauf der Hirnentwicklung und des Alterns: das schnelle Lernen bei Kindern, das in den Keller gehen dieses Lernens bis 17 Jahren, und das Gehirn als paradoxer Schuhkarton im Alter über 17 und die graceful degradation bis ins hohe Alter
  • die prinzipielle, funktionelle Verschiedenheit von positiven und negativen Emotionen und was diese für das Lernen bedeuten.

Der entscheidende Satz bei Spitzer ist für mich immer:

von denen [die ein anderes funktionelles Gehirn hatte, als das was wir heute haben] stammen wir nicht ab!

Vorträge auf youtube

Die Spitzervorträge auf youtube sind zum Teil redudant zu verschiedenen Folgen von “Geist und Gehirn” und befassen sich in der Regel mit Spitzers Spezialthema und vor dem er immer wieder hinsichtlich der Entwicklung des Gehirns von Kindern warnt: Bildschirmmedien. Aber es ist manchmal doch eine gute Zusammenfassung der o.a. Erkenntnisse und Verdeutlichung innerhalb eines Ein- bis Eineinhalb-Stunden-Vortrags. Auch hier für das Abspeichern offline ist ein Programm wie youtube-dl empfehlenswert, da auch auf youtube “depubliziert” wird und Videos so ganz plötzlich verschwinden, weil irgendein … irgendwelche Urheberrechtsansprüche geltend macht und google in vorauseilendem Gehorsam bzw. zur Abwendung von Regressansprüchen dann gleich automatisch sperrt.

Empfehlenswert und derzeit noch online verfügbar:
Wie lernen Kinder? Aktuelles aus der Hirnforschung – guter Einstiegsvortrag in die Hirnforschung mit den ersten wichtigen Prinzipien wie unser Gehirn arbeitet und einer Erläuterung fast aller o.a. wichtigen Erkenntnissen. Der Vortrag ist eigentlich fast eine Zusammenfassung von “Geist und Gehirn” in 1,5 Stunden.

Zwei Anmerkungen dazu:
1.

Gedächtnisspuren werden benutzt, auch wenn sie nicht mehr auf die Realität passen, nur weil sie schon da sind. Und selbst wenn man mühevoll umlernt, wenn man spontan ist, nimmt man wieder den alten ausgetretenen Pfad. Umlernen ist ganz schwierig. Besser gleich richtig. Ganz ganz wichtig und ganz einfach.

Anm. Ja, eigentlich ganz einfach, aber ganz ganz wichtig. Leider gibt es nicht wenige Zeitgenossen, die meinen sie könnten im falsch verstandenen “lebenslangen Lernen” selbst tiefste Bereiche ihres Gehirn vollkommen neu programmieren, so wie man eine Festplatte platt macht, wenn das Windows nicht mehr benutzbar ist, und es einfach neu installiert. Wer Spitzer hier verstanden hat, hat verstanden, dass das so nicht funktioniert.

2. Der einzige Punkt in dem ich ihm widersprechen muss:
Als Antwort auf die Frage ab welchem Alter ein Kind in die Kita soll, antwortet er ab 1h:20:00 missverständlich und biegt dann falsch ab: er sagt zwar dass ein Kind mit Mutter, Vater, Geschwistern, Nachbarskinder etc. das Kind am besten bei der Mutter aufgehoben ist. Aber weil Kinder andere Kinder brauchen und wir heute zunehmend Alleinerziehende Mütter mit Einzelkindern haben, sollten Kinder so früh wie möglich und zwar schon ab 1 und 1,5 Jahren in die Kita. Dem muss ich heftigst widersprechen, denn eine Trennung von der Mutter in diesem Alter birgt das Risiko einer frühkindlichen Traumatisierung. Dass Kinder ihre Peers brauchen ist richtig, aber in dem Alter ist die Mutter noch viel wichtiger. Erst ab ca. 3 Jahren ist die emotionale Geburt mehr oder weniger abgeschlossen, das Kind emotional gefestigt und dann wird es auch von selbst explorieren und den Kontakt zu anderen Kindern suchen. Die Antwort auf die Frage muss also lauten: das Kind ist der Maßstab! Wenn das Kind von sich aus in den Kindergarten will, genau dann ist der richtige Zeitpunkt und nicht wenn die Eltern oder die alleinerziehende Mutter keine Zeit mehr haben (welch traurige Vorstellung für das Kind), weil sie arbeiten gehen muss oder will oder meint zu wissen oder andere ihr einreden was gut für ihr Kind sei. Sonst passiert nämlich genau das was er keine drei Fragen vorher erklärt hat, warum es nicht sinnvoll ist als Nichtmuttersprachler das eigene Kleinkind in einer Fremdsprache zu erziehen. Das Kind “denkt”: “Was hab ich denn für eine komische Mutter? Mag die mich nicht?” Eine Mutter, die wie auch immer emotional gehemmt auf das Kind wirkt, ist nicht gut für das Kind und eine Mutter, die das Kind quasi verlässt, indem es das Kind in die Kita abschiebt, also das Kind auf Initiative der Mutter in die Kita gehen muss und das selbst nicht freiwillig will, ist emotional noch viel schlimmer, soweit es bei einem Kind in diesem Alter überhaupt emotionale Abstufungen gibt (vgl. die Vorträge von Shelley Uram : sitting ducks). Da ist Spitzer mMn falsch abgebogen, speziell in Hinblick auf das Thema dieses Blogs.

Gehirnforschung für die Praxis: Aktuelles aus der Hirnforschung Teil 2
Stress ab 0h:57m:50s bis 1h:04m:40s

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