Leben mit Angst

Ein Leben ohne Angst gibt es nicht, für keinen Menschen bzw. die Menschen, die keine Angst hatten, von denen stammen wir nicht ab. Normale Menschen, die gelernt haben ihre Emotionen autonom und automatisch zu regulieren, können mit ihrer Angst gut leben, solange es sich im Rahmen dessen bewegt was im Alltag üblich ist und keine extrem belastenden Ausnahmesituationen sind wie Krieg, Vertreibung, Folter, Vergewaltigung, Naturkatastrophen, Unfall oder andere schwere Schicksalsschläge.

Wie kommt man aber mit Ängsten und Stress klar, wenn man diese nicht autoregulieren kann, Trigger auch nicht komplett vermeiden kann und manchmal bei der Angst nur die Wahl zwischen Teufel und Beelzebub zu sein scheint, also das Vermeiden der einen Angst eine andere Angst bewirkt. Wenn Angst und Stress – was immer nur das ist, was unser limbisches System dafür hält und nicht was eine reale Gefahr ist – aufgrund ihrer Nicht- oder mangelhaften Regulation zu einer chronischen, gesundheitlichen Bedrohung werden, muss man damit ganz anders umgehen als jemand der dieses Problem nicht hat. Es braucht so etwas wie ein Angst-Management. Dies betreibt ein Traumatisierter bereits seit der Traumatisierung intensiv und intuitiv. In Anbetracht der verfahrenen Lage macht man daraus vollkommen automatisch schon sehr oft rein gefühlsmäßig, also ohne bewußtes Denken, das Richtige z.B. das Vermeiden von Triggern. Wenn einem dies jedoch nicht bewußt ist, ist man u.U. geneigt nicht auf sein Gefühl und seine Intuition zu hören und äußeren Zwängen nachzugeben und sich Situtationen auszusetzen, die Angst und Stress auslösen, der eigentlich nicht notwendig ist. Hier ist natürlich als Erstes die Bewußtmachung notwendig um wieder auf sein Gefühl zu hören und es als Ratgeber ernst zu nehmen.
Gut. Nehmen wir an, dass wir so weit sind und über unsere grundsätzliche Disposition hinsichtlich Angst und Stress bescheid wissen, Trigger vermeiden wo es möglich ist bzw. es lernen das immer besser zu machen. Wir sind uns auch unbewußten Triggern wie Einsamkeit bewußt.
Was aber tun, wenn sich Trigger gegensätzlich verhalten und sich ihre Vermeidung ausschließt. Z.B. wenn man Angst vor anderen, fremden Menschen hat, also die Gesellschaft meidet, andererseits aber auch Angst durch die daraus resultierende Einsamkeit. Soll man sich dann ins Schneckenhaus zurückziehen was nicht gut tut? Oder soll man am sozialen Leben teilhaben was auch nicht gut tut? Wirklich einfache Antworten gibt es hier nicht, denn es gilt da leider das Sprichwort

Wie man’s macht, macht man’s verkehrt

Bis zu einem gewissen Grad wird man sich durchlavieren können. Im genannten Beispiel sich etwa nur mit einigen wenigen, dafür sehr guten Freunden und Familienangehörigen abgeben, die einen nicht triggern, und die Extreme (Party! und Einsiedlertum) meiden.
Aber es kann sich auch zuspitzen, wie im speziellen Fall der Partnerwahl.
Üblicherweise erfordert dies den Kontakt mit vergleichsweise vielen potentiellen Partnern des gewünschten Geschlechts und sexueller Ausrichtung. Kommt noch eine vom Neurotypischen abweichende psychische Disposition dazu kann es noch schwieriger werden und rein theoretisch noch mehr Kontakte mit potentiellen Partnern erfordern. Und das obwohl man dies eigentlich vermeiden sollte, wenn fremde Menschen ein Trigger sind der anhaltend Angst und Stress auslöst. Sicherlich kann man auch hier versuchen zu “tricksen” um mit weniger Angst und Stress zum Ziel zu kommen, aber letztendlich läuft es immer auf eine Abwägung, der Wahl des kleineren Übels hinaus. Im Fall der Partnerwahl und Beziehung: wie groß sind die Erfolgsaussichten im Vergleich zum Aufwand, sprich: lohnt es sich die eine Angst zu überwinden um eine andere zu vermeiden? Was ist das kleinere Übel? Allein bleiben oder sich dem Stress der Partnersuche auszusetzen? In einer Partnerschaft Differenzen und Probleme aushalten (so nicht auszuräumen) oder sich besser trennen? Selten lässt sich diese Frage immer und eindeutig beantworten. Dazu ist sie zumeist von zu vielen, sich ständig ändernden Variablen und nicht zuletzt Zufällen abhängig. Nur das Grundprinzip bleibt das Gleiche: eine kleinere Angst überwinden um eine größere Angst zu vermeiden
Letztlich ist es das was das Leben von Traumatisierten so schwer macht. Was ist die größere und was ist die kleinere Angst? Und auch wie wird sich das kurz-, mittel- und langfristig verhalten? Statt dauerhaft allein zu bleiben wird man es mit der Partnersuche eher immer wieder mal probieren ob sich die Chancen nicht verbessert haben, um im Erfolgsfall dauerhaft von einer gegenseitig unterstützenden Beziehung zu profitieren.

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