Japan vs. Frankreich

Wer dieses Blog mitliest, der erkennt wie stark die Bedeutung der Mutter für ein gutes Erlernen der emotionalen Autoregulation ist und wie schlecht eine Kultur des Weglegens ist.
Nun gibt es aber Länder wie z.B. Frankreich, die – dem Klischee nach – eine ausgeprägte Kultur des Weglegens praktizieren. Nach drei Monaten Mutterschaftsurlaub geht die Klischee-Französin sofort wieder an die Arbeit und schiebt das Kind in die Krippe ab.
Umgekehrt in Japan: die Japanische Klischee-Mutter bleibt Jahre zu Hause um sich um das Kind zu kümmern.

Dies sind natürlich Klischeevorstellungen der beiden Länder, die eigentlich differenzierter betrachtet werden müssten, denn sicher gibt es in Frankreich auch Mütter die Hausfrauen sind und in Japan auch Mütter die bald wieder arbeiten. Aber es sei einmal angenommen es würde so im Großen und Ganzen stimmen.

Müssten dann die Franzosen nicht viel mehr Stress haben als die Japaner? Müssten die Japaner nicht fast alle 100 Jahre alt werden und die Franzosen nur 50 oder 60 und dann mit Krebs oder einer anderen Zivilisationskrankheit sterben?

Schaut man sich jedoch die Lebenserwartungen der beiden Länder an so liegen diese nur ein paar Jahre auseinander. Und in beiden Ländern ist Krebs Todesursache Nr.1. Die Japaner liegen zwar immer noch vorn, aber irgendwas kann da also nicht stimmen. Der Unterschied müsste doch viel deutlicher ausgeprägt sein.

Nun ganz so einfach ist es natürlich nicht. Zum einen ist, wie bereits erklärt, das Erlernen der emotionalen Autoregulation im Ergebnis ein Kontinuum. Und nicht jedes Kind, dessen Mutter arbeitet, entwickelt eine gleich schweres Trauma. Es gibt Resilienzfaktoren, die zumindest das Schlimmste verhindern z.B. eine liebevolle Oma oder eine gute, empathische Betreuung in der Kita. Das Ergebnis wird in der Regel – eine, auch psychisch, gesunde Mutter vorausgesetzt – aber immer schlechter sein, als durch die Mutter. Dazu kommen weitere potentiell dämpfende Faktoren. Wer ein stressarmes Leben führt bzw. ihm dies durch die Gesellschaft ermöglicht wird, der hat bei gleicher Autoregulationsfähigkeit auch weniger Stress und bessere Chancen ältern zu werden – kurz: leben wie Gott in Frankreich.

Umgekehrt kann es auch verschärfende Faktoren geben, die mehr Stress bewirken z.B. eine sehr stressige Arbeitswelt, enormer sozialer Druck auf das Individuum – kurz: wie in Japan.

Frankreich dagegen ist für sein savoir vivre bekannt. Wenn in Frankreich ein entsprechen gelassener Lebensstil gepflegt wird, dann macht sich eine allgemein schlechtere emotionale Autoregulation weniger bemerkbar und die Menschen leben länger. Dazu kommt, dass sich die negativen Auswirkungen von mehr Stress eben erst Jahrzehnte bis ein halbes Jahrhundert später bemerkbar machen (können). In dieser Zeit ändern sich auch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen hinsichtlich der Belastung des Individuums. Im Ergebnis kann sich die Lebenserwartung zwischen so verschiedenen Ländern wie Japan und Frankreich nicht so sehr unterscheiden, obwohl die Kultur der Kindererziehung vollkommen anders ist.

Ja, ist es denn dann nicht doch egal?

Auch wenn sich ein Japan-Land und ein Frankreich-Land in der Lebenserwartung, die ja immer einen Mittelwert über die gesamte Bevölkerung darstellt, nicht so sehr unterscheiden, so unterscheidet sich doch die Belastbarkeit und die tatsächliche gesellschaftliche Belastung des Individuums dann doch deutlich.

Wenn Franzosen und Japaner ihren Kindererziehungstil heute tauschen würden, aber der gesellschaftliche Druck in beiden Ländern die nächsten 50 Jahre gleich bliebe, wäre das für Frankreich ein Segen und für Japan eine Katastrophe. Es wäre daher für beide Ländern besser wenn Frankreich bei der Kindererziehung von Japan lernt und Japan etwas vom savoir vivre von Frankreich. Davon würden vor allem die Menschen profitieren, die heute in beiden Ländern durch das Raster fallen und vorzeitig sterben, wie eben an Krebs. Würde sich das ändern, dann wäre der Krebs in beiden Ländern irgendwann nicht mehr Todesursache Nr. 1.

Interessant ist übrigens, dass in Japan und Frankreich ungefähr gleich viel Krebsfälle pro Jahr auftreten, 353.000 (2010) und 355.000 (2012), allerdings hat Japan ca. doppelt so viel Einwohner wie Frankreich. Interessant auch deswegen, weil Japan und Frankreich zwei von nur 10 Ländern weltweit sind, wo Krebs Todesursache Nr. 1 ist. Frankreich also auf einem wesentlich höheren Niveau als Japan.
Das zeigt auch das globale Ranking mit altersstandardisierten Krebsraten.
Eine interessante Liste. Bis auf Süd-Korea auf Platz 14 bis Rang 42 keine asiatischen Länder dabei. Dann erst Singapur und Japan als hochzivilisierte und -industrialisierte Staaten. Interessant auch, dass die asiatischen Länder beim Magenkrebs deutlich vorne liegen und auch beim Darmkrebs in die TOP 10 rutschen und außer Japan auch beim Leberkrebs dominieren, während die westlichen Länder beim Brustkrebs und beim Prostatakrebs dominieren. Bei der häufigsten Krebsart Lungenkrebs finden sich auf einmal “Nord Korea” und “China” in der Liste. Singapur, Süd Korea und Japan sind gar nicht dabei, obwohl auch die Japaner rauchen und wohl auch nicht zu knapp, aber ein deutlich geringeres Risiko haben an Lungenkrebs zu erkranken. Dies nennt sich das Japanische (Asiatische) Raucher-Lungenkrebs Paradoxon. Im verlinkten Artikel wird gemutmaßt, dass es u.a. genetische Faktoren seine. Nun, wer hier mitliest, weiß es besser:
Diese unterschiedliche Verteilung der Krebsarten in Japan- und Frankreich-Ländern, in Japan mehr das Verdauungssystem betreffende Krebsarten (Magen, Darm, Leber) während in Frankreich mehr die systemischen Krebsarten (Brust, Hoden), und eben das geringere Risiko asiatischer Raucher an Lungenkrebs zu erkranken, geben weitere Hinweise, dass zum einen die mütterliche Brutpflege für die Japaner zu einer besseren Autoregulation von Stress, auch durch das Rauchen, führt, aber durch den gesellschaftlichen Druck in der Mitte des Lebens sich andere Krebsarten entwickeln, die in Frankreich nahezu unbekannt sind. Wenn man sich mal wieder klischeehaft vorstellt wie der französische Gourmet schon abends in zeitlich und kulinarisch epischer Breite sein “dîner” verspeist, während der Japaner sich zu Überstunden verpflichtet im Büro hastig abends eine Fast-Food Mahlzeit herunterschlingt, dann kann man sich schon vorstellen, dass das zu solchen Unterschieden führt. Dafür verträgt der Franzose den Stress durch seine Gauloises nicht so gut und kriegt Lungenkrebs, während der Japaner bei gleicher Rauch-Leistung eher keinen bekommt.
Dass das Rauch-Lungenkrebs-Paradoxon und Langlebigkeit zusammen hängen zeigen auch viele rauchende Supercentenarians, allen voran Jeanne Calment, die Altersrekordhalterin, ausgerechnet eine Französin, die bis zum Alter von 119 rauchte und als einzige angab nichts besonderes für ihre Gesundheit getan zu haben, was man ihr auch glaubt. Über ihre Mutter ist leider nichts bekannt, aber es wäre sehr interessant gewesen, wie diese war.

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