Mit Alternativmedizin gegen Traumata?

Ich würde kürzlich von jemandem gefragt was ich von der sogen. “Germanischen Neuen Medizin” (GNM) nach Dr. Hamer halte. Kannte ich bis dato nicht, aber ich habe mich mal schlau gemacht. Die grundlegenden Infos beider Seiten sind mit einer einfachen Google-Anfrage zu finden.

Man könnte das alles gleich als esoterische Spinnerei abtun, aber ich denke man kann gerade am Beispiel der GNM exemplarisch lernen woran solche Außenseiter-Theorien meist kranken.

Das Problem, das ich bei solchen Theorien wie GNM sehe, ist der Umstand, dass
sie
1. vollkommen befreit von den Erkenntnissen dessen was als
Naturwissenschaft gesellschaftlich anerkannt ist (und auf denen unsere
gesamte technische Welt beruht)
2. apodiktische und scheinlogische Dogmen aufstellen.
Entsprechend erfahren sie praktisch keinerlei Anerkennung
durch die Wissenschaftscommunity, weil sie eben naturwissenschaftlichen
Ansprüchen an Konsistenz mit den bisherigen Erkenntnissen oder diese
schlüssig wissenschaftlich oder zumindest plausibel zu widerlegen nicht
gerecht werden.
Sie legen allerdings den Finger in die offenen Wunden der Wissenschaft
bzw. machen sich die blinden Flecken, die es dort zweifelsfrei gibt, zu
nutze um sich bei naturwissenschaftlich weniger gebildeten oder von
der Schulmedizin enttäuschten zu verbreiten.
Aber mit der Naturwissenschaft ist es wie mit der Demokratie:
für alle Probleme, die es damit gibt, gilt, dass mehr und nicht weniger
diese Probleme löst. Denn das Prinzip an sich ist gut bzw. erfolgreich.

Ironischerweise kann man die Entwicklung solcher abgehobenen Theorien
selbst mit den Erkenntnissen der wissenschaftlichen Hirnforschung
psychologisch relativ gut erklären. Die GNM kann nach dem was ich
darüber gelesen habe fast als Paradebeispiel gelten, vor allem wenn man
dem Grundsatz nachgeht “Wenn man den Anfang versteht, versteht man den
Fortlauf wesentlich besser”.
Und bei der GNM steht am Anfang eben die Schockerfahrung des Todes des
Sohnes von Dr. Hamer und die in zeitlicher Nähe darauffolgende
Krebserkrankung von Dr. Hamer, der daraufhin seine GNM entwickelt.
Das lässt sich mit dem heutigen Wissen über das menschliche Gehirn
psychologisch relativ gut erklären: wenn man eine psychologische
Vorschädigung wie eben durch eine frühkindliche Traumatisierung schon
hat, dann sind belastende Ereignisse im Leben (Trennung vom Partner,
Tod nahestehender Menschen, Unfälle, Katastrophen etc.) deutlich
belastender als wenn man nicht traumatisiert ist und gut gelernt hat
seine Angst und seinen Stress zu unbewußt und automatisch zu regulieren. Wenn man aber
über dieses Ur-Trauma nicht Bescheid weiß und dann von einem solchen
Schockereignis getroffen wird an dem man zehn mal länger daran knabbert
als das soziale Umfeld, dann spielt das Bewußtsein, der Teil des Gehirns
der ständig versucht sich die Welt zu erklären, leicht “verrückt”. In
der realen Erklärungsnot denkt sich unser Gehirn die abstrusesten
Erklärungen aus bzw. gibt dem vielen Unsinn den man so denkt und grübelt Raum,
warum man jetzt so lang anhaltend depressiv ist, Schmerzen hat, süchtig
nach irgendwas oder eben krank wird. Und von da an kann das ein Selbstläufer werden und
man verrennt sich in die Sache, was dann schon psychotische Züge annehmen kann.

Im Fall von Hamer spielt dabei sicher auch eine Rolle, dass er selbst
ein “Halbgott in weiß” war. Da hat man aus der Ausbildung das ganze
medizinische Wissen, Halb- und Unwissen zur Verfügung eine eigene
Weltlehre aufzustellen und das auch noch als gesunder Menschenverstand
und wissenschaftlich zu propagieren. Die Abwesenheit von Selbstkritik
und Selbstzweifel (nicht untypisch bei Ärzten), ob das was man sich da
ausgedacht hat, nicht eventuell ein Irrweg sein könnte, ist ein
sicheres Zeichen, dass es sich hier um eine Ideologie handelt, die mit
nicht hinterfragbaren Dogmen handelt.
Etwas flapsig ausgedrückt:
man muss halt dran glauben *doppeldenk*

So ganz verkehrt liegt Hamer allerdings nicht, wenn er einen
Zusammenhang zwischen einem Schockerlebnis und einer darauffolgenden
Krebserkrankung postuliert. Allerdings eben nicht so wie er sich das
vorgestellt hat. Er konnte damals Anfang der 1980er Jahre auch noch
nichts über eine mögliche psychische Vorschädigung wissen. Den ersten
wissenschaftlichen Artikel den ich dazu gefunden habe war von 1996.
Und wenn man eben frühkindlich traumatisiert ist, dann hat man schon
sein ganzes Leben mehr Stress und das chronisch. Dass chronischer
Stress jede Menge psychosomatischer Erkrankungen nach sich zieht ist
inzwischen auch in der Schulmedizin praktisch unbestritten.
Stresshormone wie das Cortisol, sind hochwirksam aber eben damit chronisch
toxisch. Auch ein Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer, der auch nicht jeder
publizierten peer-review Studie glaubt, sondern in Anspruch nimmt nur
“gute” Studien zu zitieren, stellt das nicht in Frage (siehe Folge “Stress” von “Geist und Gehirn”)
Entsprechend, wenn der Körper schon stark durch chronischen Stress
vorbelastet ist, dann kann ein zusätzliches Schockereignis das Faß zu
überlaufen bringen. Nicht nur Krebs, sondern auch plötzlicher
Herzstillstand, Broken-Heart-Syndrom, Schlaganfall, Diabetes usw. usw.
Die Motivation von Hamer aufgrund der Ereignisse kann ich also
verstehen, nur bietet die Naturwissenschaft mittlerweile eine
wesentlich bessere und auf dem Standardmodell der Naturwissenschaften
aufbauende widerspruchsfreie, konsistente Erklärung an.
Entsprechend kommt man bei der Therapie auch zu besseren Empfehlungen
als Hamer, der im wesentlichen nur empfiehlt an seine Theorie zu
glauben.
Stattdessen muss man einfach sagen: wer dazu neigt Krebs zu bekommen, der hat schon
sein Leben lang ein handfestes gesundheitliches Problem. Und wenn man
dann Krebs hat, ist es eigentlich schon zu spät. Mit Operation,
Chemo&Co. kann man die akute Bedrohung vielleicht noch mit vielen
Nebenwirkungen abwenden, aber die gesamtkörperliche Schädigung kann man
damit nicht ungeschehen machen. Das Beste was man noch
komplementär-konservativ machen kann ist wieder: Stresshygiene
betreiben. Und das so früh und so konsequent wie möglich. Aber das
senkt nur die Wahrscheinlicheit einer schweren stressinduzierten
Erkrankung. Eher früher als später erwischt es einen dann doch, wenn
man die Autoregulation schlecht oder gar nicht erlernt hat.

Das ist bei praktisch allen “Wunder”-Theorien der Fall. Ich selbst
hatte in meinem Bekanntenkreis den Fall, dass jemand einen
Mittelohrentzündung hatte, die schulmedizinisch mit Antibiotika relativ
leicht zu behandeln ist. Aber er liess sich ausschließlich
homöopathisch behandeln und selbst das nur per Ferndiagnose.
Die Schmerzen wurden immer unerträglicher und am Schluß hat er die
härtesten (schulmedizinischen) Schmerzmittel eingeworfen. Und dann ist
er an der Mittelohrentzündung gestorben. Ein ebenfalls mit ihm befreundeter Arzt hat nur mit dem Kopf geschüttelt und gesagt, dass das defintiv ein unnötiger Tod war. Der
Bekannte hat Frau und Kind hinterlassen.

Ich kann gut verstehen, dass man der Schulmedizin kritisch gegenüber
steht und ich wurde auch schon von dieser falsch behandelt. Nur sollte
man deswegen nicht glauben, dass es die Alternativmedizin unbedingt
besser macht. Irren ist nun mal menschlich. Meiner Meinung nach genügt
es die “Halbgötter in weiß” der Schulmedizin mal von ihrem Sockel
herunter zu holen und ein kritischer Patient zu sein. Da kann eine
zweite Arztmeinung schon “Wunder” bewirken.

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