Licht im Schatten von Motown: die perfekte unterstützende Beziehung

Es gibt so magische Momente, die einen bewegen, aber man weiß nicht genau warum. Ich habe kürzlich über die Geschichte von Motown und den sogen. Motownsound im Netz recherchiert und bin dabei neben HDH & Co. auf den Film “Standing in the Shadow of Motown” (2002) gestoßen. Ein in seiner gesamten Länge äußerst sehenswerter Film über die tragisch-schöne Geschichte der stilbildenden Motown-Hausband “The Funk Brothers”, insbesondere seiner musikalischen Genies wie James Jamerson, oder Benny “Papa Zita” Benjamin, die maßgeblich an der Formung dessen was als Motownsound bekannt wurde, beteiligt waren. Das ging sogar so weit, dass Komponisten und Arrangeure wie HDH gar nicht erst ins Studio gingen, wenn nicht das “A-Team” dort war. Es ist aber neben dem unglaublichen Erfolg (mehr Nr.1-Hits als Beatles, Rolling Stones und Elvis zusammen!) eben auch die Geschichte der persönlichen Tragödien: Benny Benjamin starb als erstes, noch in den 1960ern, an Alkohol- und anderen Drogenproblemen, James Jamerson folgte im auf ähnliche Weise Anfang der 1980er und als der Macher des Films Allan Slutsky schon der Story auf der Spur war, schon das Buch über James Jamerson geschrieben hatte und noch 11 Jahre braucht um den Film finanziert zu bekommen, starb einer nach dem anderen, nicht wenige an Krebs, dass für den Film “nur noch” das “B-Team” zur Verfügung stand und dem “A-Team” nur noch mit Fotos, Rückschauen und Interviews mit Angehörigen gedacht werden konnte.
Als ich den Film das erste mal unbedarft, wenn auch mit einem gewissen Vorwissen über Motown sah und dann sah wie Joan Osborne mit den Funk Brothers “What becomes of the broken hearted” … ja wie soll man das ausdrücken? … ja, man kann von einer hochdramatischen Aufführung sprechen, da kam da eine Emotion herüber, die vermittelte, dass ich da gerade etwas ganz besonderes gesehen hatte. Ich hörte mir dann noch diverse andere Versionen u.a. wieder mit Joan Osborne und den Funk Brothers auf der Welttournee an und auch die gleiche Aufnahme ohne Bild, aber dieses magische Etwas fehlte. Ich schnitt mir das Video aus dem Film heraus und seitdem ist es fester Bestandteil meiner Musikvideoplaylist. Soweit so gut.
Doch der Film liess mich nicht los und ich fing an weiter darüber zu recherchieren u.a. über den Macher des Films Allan Slutsky. Und ich fand von ihm zwei Videos auf youtube in denen er über den Film und wie er zustande kam spricht. Das Interview dreht sich etwas mehr um die Person von Allan Slutsky selbst. Der Workshop “SRT Master Class – Allan Slutsky – Standing in the Shadows of Motown” ist dagegen mehr ein Making-of des Films (beide Videos sind offline gesichert von mir). Und darin erklärt Slutsky die Umstände und Folgen eben dieser speziellen Performance im Film von Joan Osborne und den Funk-Brothers, besonders Richard „Pistol“ Allen, der kurze Zeit später auch an Krebs starb.

Aber warum schreibe ich das alles hier bei t+? Mit dem Hintergrundwissen über die menschliche Psyche entdeckt man hinter der schon sehr bewegenden Geschichte hinter der vordergründigen Geschichte, eben noch eine Geschichte. James Jamerson wird als “tormented genius” beschrieben. Er und Benny Benjamin hatten massive Alkoholprobleme, die sie letztlich das Leben kostete. Aber sie hatten mit Sicherheit auch das Problem einer frühkindlichen Traumatisierung und der Alkohol war schon ein Teil der Kompensation, effektiv aber tödlich, wenn man so will ein faustscher Pakt mit dem Teufel. Auf der anderen Seite kompensierten sie mit einer genialen Kreativität in einem von Jazz geprägten musikalischen Umfeld von Gleichgesinnten. Und wie so viele der Funk Brothers Mitglieder an Krebs starben, kann man frühkindliche Traumatisierung wohl schon als verbreitete Funk Brothers Behinderung und die Musik als deren Kompensation beschreiben.
Als Studioband von Motown waren sie “nur” der supporting act, ohne Urheberrecht, ohne Namensnennung, ihre kreative Leistung geschätzt, aber wie Lohnarbeiter bezahlt. Ruhm, Ehre und das große Geld machten andere. Sie waren nicht mal davon überzeugt, dass das was sie im “snake pit” taten etwas Besonderes sein könnte. Während die Stars, die dort geboren wurden, (und deren Manager) sich mit mäßiger musikalischer Leistung heute noch für was Besseres halten, sie ihren Ruhm aber eben zum großen Teil den Funk Brothers zu verdanken haben bzw. ohne diese wären sie ein Niemand geblieben. Im Workshop-Video rechnet Slutsky gnadenlos ab ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen: “Ask you asshole manager”. Da gehe ich nicht weiter darauf ein. Das muss man selbst gesehen haben. Englischkenntnisse sind leider Voraussetzung, aber auch wer nur einen Bruchteil davon versteht (ich habe auch nicht alles verstanden), sollte es sich ansehen.
Im Film waren die überlebenden Funk Brothers ein letztes mal der supporting act, aber auf eine so eindrucksvolle Weise wie in dem Song “What becomes of the broken hearted”, dass sie Joan Osborne zu einer musikalischen und emotionalen Höchstleistung, quasi auf musikalischen Händen tragen, die zum einen die Wichtigkeit dieser Musiker als “nur” unterstützend deutlich macht und zum anderen – quasi metaphorisch – dass es zutiefst unserem menschlichen Wesen entspricht unseresgleichen zu unterstützen und zu anderen Menschen eine unterstützende Beziehung aufzubauen, weil wir allein eben nicht überlebensfähig sind. Wir aber auch alles was wir sind, der Unterstützung (oder Nicht-Unterstützung) durch andere zu verdanken haben. Diese Prinzip, was uns als Menschen ausmacht, haben die Funk Brothers – vermutlich unwissentlich – in Perfektion musikalisch in der Performance von “What becomes of the broken hearted” vorgeführt.
Wenn man das verstanden hat, dann versteht man auch was dies für alle Beteiligten bedeutet hat, das Publikum der Filmfestivals, das während der Vorstellung einer Leinwand minutenlang standing ovations gab und der Film angehalten und zurück gespult werden musste, und jeden der es gesehen hat und bewegt war eingeschlossen.

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