Marlene Dietrich – die erste gute schlechte Mutter Hollywoods

Wenn man die imdb so im Lauf der Zeit durchforstet und öfters auch einen Blick auf die Biographie-Seite der jeweiligen Schauspieler wirft, dann kann man schon den Eindruck bekommen, dass es nicht unbedingt ein Glück ist eine Schauspíelerin als Mutter zu haben. Es kommt nicht selten vor, dass Mutter-Schauspielerinnen ihre Kinder, die an einer nicht altersbedingten Todesursache (außer Unfall) gestorben sind, überleben. In Schauspieler-Familien kommt es schon auch vor, dass Mutter und Kind vorzeitig sterben z.B.Paula und Susan Strasberg. Vor dem Hintergrund dieses Blogs ist natürlich klar, dass es nicht die Tätigkeit als Schauspieler an sich ist, die problematisch ist, sondern die Berufstätigkeit an sich oder dass es sich dabei bereits um eine emotionale Kompensation einer psychischen Vorschädigung handelt, die sich auf das Kind überträgt. Und das Privatleben von Schauspielern ist eben auch weit mehr bekannt als das von anderen Berufen.
Aber ist deswegen jede Mutter-Schauspielerin automatisch eine schlechte Mutter? Hatte Katherine Hepburn Recht als sie meinte dass man beides nicht gleichzeitig richtig machen kann?
Ein sehr prominentes Beispiel einer scheinbar schlechten Hollywood-Mutter ist Marlene Dietrich und ihre Tochter Maria Riva. Maria Riva hat nicht nur Bücher über ihre prominente, “über-legend-famous” Mutter geschrieben, in denen sie mit dieser abrechnete, sondern 2006 auch dem Tagesspiegel ein Interview über ihre Mutter als Mutter, Großmutter und sie selbst als Tochter, Mutter und Großmutter gegeben:
„Mit 17 war ich Alkoholikerin“
Auch darin geht sie mit ihrer Mutter hart ins Gericht. Einige deutliche Beispiele:

Ich hatte gar keine Mutter.

„Maria Die-Tochter-von“, als Kind dachte ich, das ist mein Name.

Sie war eine jener Erstickungsmütter, die ihren Kindern die Luft zum Atmen nehmen.

Das [Muttersein] habe ich, natürlich, von ihr gelernt. Nach meiner Erfahrung als Kind wusste ich sehr genau, wie eine Mutter nicht sein sollte.

Aber ich konnte das Kind spielen, wenn es wichtig war.

Es gab kein „Nein“ oder „Ich will nicht“.

Das Problem meiner Mutter war: Sie konnte sich in eine Blume verlieben, in ein Buch, ein Lied. Und so, wie sie eine Blume anbetete, so sagte sie zu mir: Ich liebe dich, du bist meine ganze Welt. Sie hat es geglaubt, in dem Moment, aber wie sollte ich das als Wahrheit annehmen?

Es war schrecklich. Ich würde meinen Kindern nie erzählen, was ich mit meinem Mann im Bett tue, das ist mein Privatleben.

Es gibt Eltern, die wissen genau, was sie sagen müssen, welchen Knopf sie drücken müssen, damit ihre Kinder wieder klein werden und Angst haben, dass sie nicht gut genug sind. Marlene Dietrich drückte den Emotionsknopf bei allen Menschen. Wer sich davor schützen wollte, musste seinen Emotionsknopf verbergen. [Ist Ihnen das igendwann gelungen?] Nur deshalb lebe ich noch. Mit 17 war ich Alkoholikerin. Aber ich habe es geschafft. Mein Mann hat mich gerettet.

Danach und dem folgenden muss man Marlene Dietrich als die sprichwörtliche Rabenmutter ansehen. Ja, schlimmer und perverser noch: eine sadistische Rabenmutter, die sich für die beste Mutter der Welt hält:

Sie hat mich angebetet, weil ich ihr Produkt war. Meine Mutter war der Meinung, dass sie mich fabriziert hat. Sie sagte immer: Das Haar habe ich nicht so gut hinbekommen, das ist zu dünn. Die Nägel waren okay, die Augen auch, aber meine Knochen waren zu dick. Ich hätte kleine aristokratische Knochen haben sollen, wie Rennpferde.
[Sie mussten Schienen tragen, weil Sie angeblich O-Beine hatten.]
Irgendjemand hatte ihr diesen Floh ins Ohr gesetzt, und Beine waren ja sehr wichtig in unserer Familie. Ein verrückter Doktor, der Geld machen oder was von der Dietrich wollte, hat dann diese Dinger aus Leder und Eisen anfertigen lassen. Das muss 1926 gewesen sein. Mein Vater hat die Schienen abends festgeschraubt. Ich konnte mich damit kein bisschen bewegen. Noch heute schlafe ich völlig regungslos auf dem Rücken.

[Könnte es sein, dass sich Marlene Dietrich trotzdem selbst für eine gute Mutter hielt? In den „Nachtgedanken“, die Sie herausgegeben haben, schreibt sie: „Wenn ein Chirurg mein Herz aufschneidet, wird er darin die ganze Liebe für mein Kind finden.“]
Grausam ist das, nicht? Sie hielt sich für die beste Mutter der Welt, so wie sie sich für die beste Liebhaberin hielt, aber das war ihre Stärke: Was immer sie dachte – die Welt sagte Ja dazu. Das war ihre Aura, die Kraft ihrer Berühmtheit

Sie war gegen alles, was die Nazis gut fanden, aber ich denke nicht, dass das in ihrem Muttersein eine Rolle spielte. Sie glaubte ja, dass sie voll und ganz Mutter war.

Und dann spricht Maria Riva davon wie ihr richtiges Mutterbild ist, wie ihre “Mutter” nicht war und wie sie selbst als Mutter war:

Ach, das müssen die Leute mal lernen: Bloß weil eine Frau neun Monate lang ein Kind im Bauch hatte und es zur Welt gebracht hat, ist sie danach nicht eine Mutter. Mutter zu sein, das ist etwas viel Größeres als ein Kind auszutragen. Diese Sache könnte auch ein Brutkasten übernehmen.

[Elisabeth Badinter, die Philosophin, hat gesagt, der Mythos vom Mutterinstinkt sei eine universelle Lüge, die Mutterliebe nicht angeboren.]
Eine kluge Frau. Ich glaube, Mütter sollten nach der Geburt Unterricht bekommen, in dem sie lernen, wie man mit Kindern umgeht. Die Menschen denken ja, alle Mütter sind wunderbar. Das sind sie in Wirklichkeit gar nicht. Ich engagiere mich für Kinder, die von ihren Müttern misshandelt wurden. Glauben Sie mir, die Mutterschaft wird völlig überschätzt, auch wenn in Amerika, wo ich lebe, Apple Pie und Mütter als unantastbar gelten.

[Wie haben Sie selbst Ihre Kinder erzogen?]
Ich wollte unbedingt alles besser machen.

Manchmal haben meine Söhne sich geniert wegen dieser verrückten Mutter, die alles wissen wollte, als sie nach Hause kamen.

[Haben Sie geklammert?]
Ich hoffe nicht. Für mich ist Freiheit ein großer Wert. Echte Liebe bedeutet, den anderen seinen eigenen Weg gehen zu lassen. Ob es gelungen ist, werden wir sehen, wenn meine Söhne mal ein Buch über mich herausbringen.

[Wie würden Sie das Verhältnis zu Ihren Kindern beschreiben?]
Meine Söhne sind meine Freunde. Ich habe sie wirklich gern. Das ist viel schwieriger als jemanden zu lieben.
[Worin besteht der Unterschied?]
Liebe ist instinktiv, aber um jemanden wirklich anzunehmen, jemanden gern zu haben, muss man ihn wirklich kennen, ihn respektieren. Das tue ich: Ich habe Achtung vor meinen Söhnen als gute Männer, gute Väter, gute Ehemänner.
[Was macht eine gute Mutter aus?]
Das Kind muss wissen: Wenn ich Hilfe brauche, ist sie da. Aber sie darf nicht wollen, dass das Kind denkt wie sie, dass das Kind tun muss, was sie sagt. Eine Mutter muss sein wie ein guter Stuhl: Wenn man drin sitzt, fühlt man sich aufgehoben.

Ich finde es schrecklich, dass diese ganzen Frauen heute ihre Kinder in Krippen geben, bloß weil sie arbeiten müssen – und dann gibt es natürlich noch diejenigen, die gar nicht arbeiten müssen, aber die denken, sie müssen alles sein: Mutter, Sex-Symbol, Karrierefrau.

Danach und wenn man diesen Blog und seine Aussagen kennt, kann man Maria Riva eigentlich nur beipflichten: so wie Marlene Dietrich sollte keine Mutter sein, sondern eher wie Maria Riva, die ihre Schauspielkarriere zumindest teilweise der Familie geopfert hat.
Wenn, ja, wenn da einiges nicht so recht ins Bild passen würde. Zum Zeitpunkt des Interviews war Maria Riva 81 Jahre alt. Und wenn man ihrem Wikedpedia- und imdb-Eintrag Glauben schenken darf, dann lebt sie noch heute im Jahr 2021 und ist damit 96 Jahre alt und hat damit ihre zuletzt alkohol- und tablettensüchtige Mutter um sechs Jahre überlebt. 2017 erschien ihr letztes Buch. Für eine traumatische Kindheit ist Maria Riva doch erstaunlich alt geworden. Und von laufenden Zivilisationserkrankungen ist auch nichts bekannt. Ihr 1948 geborener Sohn J. Michael Riva dagegen ist lt. imdb schon 2012 an den Folgen eines Herzinfarktes gestorben. Über den Gesundheitszustand ihrer anderen drei Kinder ist nichts weiter bekannt. Der Tod ihres Sohnes scheint Maria Riva jetzt auch gesundheitlich nicht sonderlich geschadet zu haben. Wenn man also mal rein rechnerisch die Lebenszeit des jeweils erstgeborenen Kindes miteinander vergleicht und vor dem Hintergrund dieses Blogs die Mutter dafür maßgeblich verantwortlich ist, dann scheint doch eher Marlene Dietrich die bessere Mutter gewesen zu sein. Gibt es Dinge die doch dafür sprechen? Oder ist die in diesem Blog vertretene Theorie falsch? Aus dem Tagesspiel-Interview, mitunter die gleichen Zitate:

Dabei hatte sie großes Talent, Mütter zu spielen.

[Dabei haben Sie selbst in Ihrer Biografie „Meine Mutter Marlene“ geschrieben, dass sie Sie zum Beispiel ausgiebig gestillt hat. Ihr Verhältnis scheint in Ihrer Babyzeit innig gewesen zu sein.]
Sie hat mich angebetet, weil ich ihr Produkt war.

[Könnte es sein, dass sich Marlene Dietrich trotzdem selbst für eine gute Mutter hielt? In den „Nachtgedanken“, die Sie herausgegeben haben, schreibt sie: „Wenn ein Chirurg mein Herz aufschneidet, wird er darin die ganze Liebe für mein Kind finden.“]
Grausam ist das, nicht? Sie hielt sich für die beste Mutter der Welt, so wie sie sich für die beste Liebhaberin hielt, aber das war ihre Stärke: Was immer sie dachte – die Welt sagte Ja dazu. Das war ihre Aura, die Kraft ihrer Berühmtheit.

Das Problem meiner Mutter war: Sie konnte sich in eine Blume verlieben, in ein Buch, ein Lied. Und so, wie sie eine Blume anbetete, so sagte sie zu mir: Ich liebe dich, du bist meine ganze Welt. Sie hat es geglaubt, in dem Moment, aber wie sollte ich das als Wahrheit annehmen?

[Die Beziehung zu Ihrer Mutter war gleichzeitig zu distanziert und zu nah. Wie bestimmend war Ihre Mutter später, als Sie Ihre eigene Familie hatten?]
Sie war immer dabei, auch als sie schon tot war, sie ist ja auch jetzt, in diesen Minuten, dabei.

Sie glaubte ja, dass sie voll und ganz Mutter war.

Vor dem Hintergrund dieses Blogs und den gesundheitlichen Lebenstatsachen der jeweiligen Kinder, erscheinen diese Zitate auch in einem anderen Licht: eine lange stillende Mutter Marlene, die ans Fanatische grenzende Überzeugung die beste Mutter der Welt zu sein bis zu einer tiefen emotionalen Zuneigung zum Kind, eine Präsenz der Mutter bis über ihren Tod hinaus und das trotz allem anderen Schrecklichen was sie ihrem Kind angetan hat, haben vielleicht dafür gesorgt, dass die kleine Maria in der kritischen Phase der emotionalen Geburt von ihrer Mutter Marlene die emotionale Autoregulation besser gelernt hat, als sie es später ihren Kindern beibringen konnte. Und das ist ja das Entscheidende für die weitere Entwicklung und Lebenserwartung eines Kindes, nicht das was danach passiert. Alles woran sich Maria Riva erinnern kann ist das was danach passierte und nicht was davor. Sie ist in dem Sinn kein klassischer Fall wo man von Missbrauch (auch emotional) später auf solchen davor schließen kann. Ihre Kindheit ist der von Japanern deutlich ähnlicher wonach diese als Kind (unter 3 Jahren) und als Greis die größten Freiheiten geniessen, dazwischen aber extremer sozialer Kontrolle unterliegen, was nicht selten im Suizid endet.
Ja, die Lehre der emotionalen Autoregulation durch Marlene Dietrich muss so gut gewesen sein, dass sie sämtlichen Missbrauch gesundheitlich nahezu unbeschadet überstanden hat. Sonst wäre sie wahrscheinlich nicht 96 geworden. Mir fällt auch immer wieder auf, dass die Mütter von Menschen, die sehr alt geworden sind, nicht selten aus militärisch geprägten Familien stammen z.B. Loriot. Die Mutter hat bis zu drei Jahren das “Regiment” und danach bestimmt der soldatische Vater das Leben der Kinder. Marlene Dietrich kam auch aus einer solchen Familie und war wohl beides zugleich: emotional liebende Mutter und strenger Vater. Nur letzterer ist im Bewußtsein und damit der Erinnerung von Maria Riva erhalten geblieben und daher die durchweg negative Sicht auf ihre Mutter. Man muss die andere Beziehungsebene zu ihrer Mutter zwischen den Zeilen herauslesen. Und dann erkennt man auch, dass Marlene Dietrich in ihr als innere, beschützende Mutter emotional und unbewußt präsent ist. Auch Maria Riva scheint dem Irrtum erlegen zu sein, dass sie das Bewußtsein und unsere bewußten Erinnerungen für das für unser Leben maßgebliche hält und nicht erkennt, dass dieses Bewußtsein nur eine Nußschale auf dem Ozean unserer Emotionen ist. Ihre Erkenntnisse sind hinsichtlich einer “normalen” Mutter zwar richtig, insbesondere in der westlich geprägten Zivilisation wo den Müttern eingeredet wird ihre Kinder in die Krippen und Kitas abzuschieben um Karriere zu machen oder sich selbst zu verwirklichen. Aber dass eben eine klammernde Helikoptermutter, die ihre Kinder in Watte packt, gleichermaßen falsch ist, hat sie nicht erkannt. Nur es besser machen zu wollen reicht eben nicht aus und dann kann eine “verrückte” Mutter dabei heraus kommen, von denen die Kinder nicht das lernen was wirklich wichtig und richtig ist: die emotionale Autoregulation. Ja, man sollte potentiellen und werdenden Bio-Müttern lehren Mutter zu sein, nur dazu genügt es nicht aus guten Beobachtungen die falschen Schlüsse zu ziehen, sondern man muss verstanden haben was eine gute Mutter ausmacht. Beruhigend allerdings zu wissen, dass man nicht wie Marlene Dietrich sein muss um eine gute Mutter zu sein, aber eben auch nicht wie Maria Riva, deren Mutterdasein allein vom Glauben an die schlechte eigene Mutter geprägt war ohne das Gute an ihrer Mutter zu erkennen.

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