Rezension: “Resilienz – Was die Seele stark macht” (2023)

Auf arte gibt es gerade eine Reihe von Fernsehdokus zu psychologischen Themen. Eine davon ist “Resilienz – Was die Seele stark macht” (2023), als SWR-Produktion auch in der ZDF-Mediathek (für besseren Offline-Download der bei arte gerade gestört zu sein scheint, nur bis zum 15.12.2023 verfügbar 🙁 ).
Um es vorweg zu nehmen: es ist nicht alles verkehrt, aber ziemlich viel und insgesamt ziemlich nutzlos. In wie fern dies mal wieder der allgemein üblichen universaldilettantischen Schludrigkeit und verkürzten Darstellung durch die produzierenden Journalisten geschuldet ist, ist schwer zu beurteilen aber hoch wahrscheinlich.
Über weite Teile der Doku wird von emotional bewegenden Einzelfällen von schweren Schicksalsschlägen berichtet und von hochwissenschaftlich anmutender biochemischer Erbsenzählerei; die (Epi-)Genetik darf natürlich auch nicht fehlen. Die wirklich vielversprechenderen Ansätze wie den von Boris Cyrulnik werden nur oberflächlich verfolgt und im wesentlichen auf den Stress der Mutter während der Schwangerschaft reduziert, obwohl er wohl einen wesentlich ganzheitlicheren Ansatz bis in die Politik hinein verfolgt und mit dem 1000 Tage Programm – was nicht ganz die hier propagierten drei Jahre umfasst – zeitlich weit über die Schwangerschaft hinaus geht; von den pyhlo- und ontogenetischen Hintergründen der Hirnentwicklung ganz zu schweigen, ja es wird nicht einmal erklärt was Angst und Stress eigentlich bedeutet.
Und auch die Fragestellungen der zu Wort kommenden Wissenschaftler sind extrem beschränkt indem sie entweder nur die Resilienz bei “Gesunden” oder eben die bei “Kranken” betrachten, aber nicht wirklich untersuchen: was ist denn der Unterschied?
Ein wenig Erkenntnis kommt beim Teil mit der Selbstwirksamkeit bzw. der erlernten Hilflosigkeit auf, eben, dass Kontrolle und positive Selbstverstärkung (sowohl des Selbst als auch durch einen selbst) wichtig ist, zumal hier jeder selbst aktiv werden kann, bei sich selbst und dem sozialen Umfeld. Aber auch hier bleibt es nur beim Ansatz und ohne weitergehende Konsequenzen wie z.B. dass man soziale Kontakte zu Menschen, die einem nicht gut tun, die einem die “Energie rauben” meiden sollte. Politisch brisante Fragen wie die der frühkindlichen Fremdbetreuung werden nicht mal gestreift.

Doch wer hier mitliest dem wird eines aufgefallen sein: Boris Cyrulnik, der seine Eltern durch den Holocaust verlor, danach in Pflegefamilien und allein, ohne positiven Zuspruch von außen aufwuchs, ja er sollte sogar getötet werden als er 6½ war, hat es dennoch geschafft zu studieren und ist jetzt 86 Jahre alt. Wie kann das sein? Im Film wird es beiläufig erwähnt: er war fünf als er seine Eltern verlor und die Erinnerung an sie hat ihn sein Leben lang gestützt. Wenn er in den ersten drei Lebensjahren eine gute Mutter hatte, dann hat das ausgereicht um bei ihm die emotionale Autoregulation, die “innere Mutter” zu erlernen, die ihn dann ein Leben lang vor zu viel Stress bewahrt hat und so alt hat werden lassen. Umgekehrt wäre es ihm wahrscheinlich deutlich schlechter ergangen.
Aber diese Erkenntnis des unbewußten Lernens der emotionalen Autoregulation bis zum Alter von drei Jahren, kommt trotz der Frage ob man Resilienz lernen könne, in der Doku nicht vor, sondern wird auf das bewußte Lernen im Alter über drei reduziert, wo das Kind entweder schon in den Brunnen gefallen ist oder alles gut gegangen ist.

Fazit: leider nur ein Stück “Qualitätsjournalismus” ohne wirklichen Erkenntnisgewinn mit bestenfalls Unterhaltungswert. Einen Aha-Effekt wie den den ich 2015 bei Shelley Uram hatte, hätte ich im Zustand der Unwissenheit bei dieser Doku nicht gehabt.

P.S. ich habe ein längeres Interview mit Boris Cyrulnikyoutube-Link gefunden. Einerseits betont er die Bedeutung des limbischen Systems und wie wichtig eine unterstützende Beziehung ist, andererseits scheint ihm der Begriff der “seelischen Geburt” fremd zu sein, wenn für ihn nur seine physische Geburt und die Wiedergeburt im Alter von 6½ als er als einer von zwei Juden von insgesamt 1400 Juden dem Tod durch Vernichtung in Auschwitz entkam. Des weiteren meint er dass Worte das limbische System beeinflussen, womit er klar Shelley Uram widerspricht, die das a href=”/2015/02/21/trauma-videos-von-shelley-uram/”>limbische System als zu 100% unbewußt und ohne Sprachverständnis beschreibt. Im Interview er aber auch was Resilienz bedeutet und zwar keine Elastizität und Widerstandskraft, dass nach einem traumatischen Erlebnis alles wieder so wird wie vorher, sondern eher wie ein (gewachsener) Boden sich nach einer Überflutung oder einem Brand wieder erholt und neue Fruchtbarkeit und neues Leben ermöglicht, aber nicht zu dem Zustand zurück kehrt wie es vorher war.
Er wird auch konkreter was das 1000-Tage-Programm von Emanuel Macron betrifft: 300 im Bauch der Mutter, 300 Tage in der Familie, 300 Tage Sprachontogenese. Von einer gewissen arithmetischen Schwäche, dass da noch 100 Tage fehlen für 1000 Tage, abgesehen, endet das Programm noch vor dem Alter von 2 Jahren und das ohne eine kausale Begründung in der Hirnentwicklung; ja gerade im Alter von 2 Jahren befindet sich das Kind ja gerade in der Phase extrem vulnerablen Phase der seelischen Geburt und ist die “sitting duck”. Wenn das bedeuten soll, dass man nach diesen 1000 Tagen die Mutter wieder arbeiten schicken und das Kind fremdbetreuen lassen kann, muss ich ihm hier widersprechen. Nicht in dem Sinn, dass die Entwicklung vor ca. 18 Monaten unbedeutend oder nicht so wichtig wäre, sondern, dass sich eben daran noch eine extrem wichtige Phase in der die Bindung und der Kontakt zur Mutter über das emotionale Schicksal des Kindes entscheidet.
Philosophisch interessant ist das Interview wenn es um die Frage der inneren Freiheit und des logischen Deliriums geht.

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